Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Ägypten fürchtet israelischen Angriff auf Rafah
Kairo verstärkt Truppen an der Grenze zum Gazastreifen
- Kairo wird zum Zentrum der Bemühungen um eine neue Waffenruhe in Gaza. Nachdem hochrangige Hamas-Funktionäre in den vergangenen Tagen in der ägyptischen Hauptstadt zu Gast waren, wird jetzt CIA-Chef Bill Burns am Nil erwartet. Für die ägyptische Regierung ist der Einsatz für ein Ende des Krieges besonders dringend: Sie befürchtet eine Flüchtlingswelle aus dem Gazastreifen auf die ägyptische Sinai-Halbinsel. Kairo schickt zusätzliche Panzer und Truppen an die Grenze und warnt Israel vor einer Großoffensive auf die Stadt Rafah.
Als südlicher Nachbar des Gazastreifens spielt Ägypten eine Schlüsselrolle bei der Versorgung der Zivilisten in dem abgeriegelten Palästinensergebiet, wo sich zwei Millionen Menschen drängen. Kairo liefert nach Regierungsangaben 80 Prozent aller Hilfsgüter, die über den Grenzübergang von Rafah nach Gaza rollen. Viele internationale Politiker, darunter UN-Generalsekretär Antonio Guterres und Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, haben seit Kriegsausbruch am 7. Oktober den Übergang besucht. In den kommenden Tagen will der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan an die Grenze reisen.
Israel hatte die Bewohner von Gaza aufgerufen, sich bei Rafah im Süden des Gebietsstreifens in Sicherheit zu bringen. Nun greift die israelische Armee auch dort an; Luftangriffe töteten in der Nacht zum Montag nach Angaben lokaler Behörden fast 70 Menschen in Rafah. Das bedeute Alarm für Ägypten, sagt der Nahost-Experte Joshua Landis von der Universität Oklahoma. „Ägypten will keine zwei Millionen bitterarme Palästinenser aufnehmen“, sagte Landis unserer Zeitung. Schließlich stehe Ägypten, das mit 110 Millionen Menschen bevölkerungsreichste Land der arabischen Welt, schon jetzt am Rande des Staatsbankrotts.
Präsident Andel Fattah el-Sisi fürchte auch um die innere Sicherheit, sagt Landis. Ägypten hat zwar Kontakte zur Hamas und nutzt diese in den Gesprächen über eine neue Waffenruhe. Doch ideologisch ist Sisi ein Feind der radikalen Palästinensergruppe, die zur Bewegung der MuslimBruderschaft gehört. „Sisi hat die Muslim-Bruderschaft in Ägypten zerstört“, sagte Landis. „Das Letzte, was er will, sind Tausende neue radikalisierte Islamisten in seinem Land.“
Omar Rahman von der Denkfabrik Middle East Council in Katar weist darauf hin, dass radikale Islamisten auf der Sinai-Halbinsel schon von dem Ausbruch des Gaza-Krieges ein Problem für Sisis Regime waren. „Millionen traumatisierter und wütender Flüchtlinge“auf der Sinai-Halbinsel würden die Region weiter destabilisieren, sagte Rahman unserer Zeitung.
Auch aus außenpolitischen Gründen stemmt sich Ägypten gegen eine Massenf lucht aus Gaza. Rechtsradikale israelische Politiker fordern die permanente Vertreibung der Palästinenser aus dem Gazastreifen. Kairo wolle nicht zum unfreiwilligen Helfer bei dieser „ethnischen Säuberung“werden, sagt Landis.
Selbst wenn die Unterbringung palästinensischer Flüchtlinge auf ägyptischem Boden als zeitlich begrenzte Nothilfe definiert werden sollte, sei sie für Ägypten unannehmbar, sagt Nahost-Experte Rahman aus Katar. Die Erfahrung zeige, „dass Israel nicht die Absicht hat, die Palästinenser in ihre Heimat in Gaza zurückkehren zu lassen, wenn die Kämpfe vorüber sind“. Mit Blick auf die Flucht vieler Palästinenser aus dem heutigen israelischen Staatsgebiet bei der Gründung des jüdischen Staates fügte Rahman hinzu: „1948 und die Folgen wiederholen sich.“
Verhindern will Sisi den Massenansturm aus dem Gazastreifen mit militärischen und diplomatischen Mitteln. Die ägyptische Armee schickte jetzt rund 40 Panzer und gepanzerte Mannschaftswagen an die Grenze zu Gaza, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtete. Nach Kriegsausbruch im Oktober hatte Ägypten bereits einen BetonGrenzwall errichtet; die Mauer reicht sechs Meter tief ins Erdreich, um es der Hamas zu erschweren, die Grenze zu untertunneln.
Zudem nutzen ägyptische Regierungsvertreter nach Medienberichten jede Gelegenheit, über westliche Gesprächspartner eine Warnung an Israel zu schicken: Eine israelische Großoffensive in Rafah wäre das Ende des ägyptisch-israelischen Friedensvertrages von 1979, des ersten Vertrages zwischen Israel und einem arabischen Staat.