Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Wie das digitale Adlerauge Straßenschäden scannt
Ein Kamerafahrzeug hat eine Woche lang das Laupheimer Straßennetz erfasst
- Ob ganz frisch geteert oder mit tiefen Schlaglöchern und Rissen übersät: Der Zustand der Laupheimer Straßen ist höchst unterschiedlich. Doch wie es genau um die Verkehrswege im Stadtgebiet und den Teilorten bestellt ist, hat in den vergangenen Tagen ein Spezialfahrzeug des Berliner Unternehmens Eagle Eye Technologies mit hochauflösenden Kameras erfasst.
Dieses Fahrzeug fällt auf. Das mächtige Metallgestell auf dem Dach, signalorange lackiert, verleiht dem Lieferwagen etwas futuristisches. Ein bisschen, als hätte Doc Brown den silbernen Sprinter für eine Reise „Zurück in die Zukunft“umgebaut. Doch auch wenn mit dem Fahrzeug der Zeitsprung nicht möglich ist, ist an ihm doch jede Menge HighEnd-Technik verbaut.
In der Reihe hinter dem Fahrersitz sitzt Systemingenieur Kay Stickel an einem schmalen Schreibtisch. Auf diesem liegt eine große Karte von Ober- und Untersulmetingen. Neongelb hat er die Straßen markiert, die das Fahrzeug bereits aufgenommen hat. Darüber zeigt ein Bildschirm eine 360-Grad-Ansicht rund um das Fahrzeug, verteilt auf zwölf einzelnen Bildern.
Der Sprinter rollt vom Parkplatz im Untersulmetinger Industriegebiet, die Bilder wechseln im Sekundentakt. Alle fünf Meter lösen die an der Plattform angebrachten zwölf Kameras im gleichen Moment aus. Etwa 2000 Fotos pro Kilometer kommen so zusammen, erklärt Stickel. Über zwei GPS-Antennen am Fahrzeug sind sämtliche Aufnahmen exakt verortet – was für die spätere Prozessierung der Rohdaten wichtig ist. Denn die Analyse des Straßenzustands wird später vorgenommen. „Wir zeichnen nur auf“, so der Systemingenieur.
190 Kilometer Hauptstraßen, Wohngebiete, Gassen und Gemeindeverbindungswege wird das Fahrzeug von „Eagle Eye Technologies“im gesamten Stadtgebiet und den Teilorten schlussendlich abgefahren haben. Und die Kameras dokumentieren jeden Riss, jedes Schlagloch und jeden abgesenkten Schachtdeckel – hochaufgelöst. „Wir fahren jede Strecke in beide Richtungen“, erläutert Stickel, während die Kameras die Obersulmetinger Straße scannen.
Der Grund dafür: Durch das Befahren in beide Richtungen werden mögliche Bildfehler minimiert, die beispielsweise durch den Sonnenstand oder auch durch geparkte Fahrzeuge oder Mülltonnen entstehen können.
Apropos Verkehrsteilnehmer: Da sich das Messfahrzeug im f ließenden
Verkehr bewegt, erfasst es auch sämtliche Fahrzeuge, Radfahrer und Fußgänger. Doch Verkehrsteilnehmer müssten sich keine Sorgen machen. „Das alles wird datenschutzkonform anonymisiert“, erklärt Stickel. Das Endergebnis ist eh eine digitale Straßenkarte – ohne Fotos. Doch dazu später mehr.
Mehr als 750.000 exakt verortete Fotos werden so für Laupheim aufgenommen. Parallel dazu scannt am Heck der Plattform ein Laserscanner permanent die Umgebung als riesige Punktwolke. Eine enorme Datenmenge kommt so in einer Woche zusammen. „Wir bewegen uns da im Terabyte-Bereich“, sagt Stickel als er die Hecktüren öffnet und den Blick auf ein dichtverkabeltes
Server-Rack freigibt, dessen Rechner und Kühler im Heck des Sprinters schnurren.
Doch wofür braucht es all die erfassten Daten? Über die verorteten Fotos lässt sich hoch detailliert der Zustand des städtischen Straßennetzes ableiten, erklärt Tim Gebauer, Vertriebsleiter bei Eagle Eye Technolgies – und zwar auf zehn Zentimeter genau. Denn das Unternehmen liefert später nicht nur die Fotos an die Stadt, sondern bereitet die Ergebnisse für das städtische Geoinformationssystem in einem digitalen Layer so auf, dass in diesem jeder Meter des Laupheimer Straßennetzes nach seinem Zustand klassifiziert ist.
Bereits 2010 hatte das Berliner Unternehmen den Zustand der
Laupheimer Straßen aufgezeichnet. Daher ist Gunter Ast, kommissarischer Leiter des Amts für Tiefbau und Umwelt, gespannt, was die aktuelle Befahrung ergeben wird.
Er geht davon aus, dass frühestens im Sommer prozessierte Ergebnisse vorliegen werden. Allerdings hat er die Vorahnung, dass diese weit weniger erfreulich ausfallen dürften, als erhofft: „Ich glaube, dass der Bedarf an Neuinvestitionen im ersten Moment erschreckend sein wird“, so Ast.
Daher sieht er nach zwölf Jahren diese Inventur als absolut notwendig an. „Dann wissen wir genau, wie es um die Substanz steht.“Und damit könnten die Investitionen nach objektiven
Kriterien geplant werden, die es für den Straßenerhalt oder gegebenenfalls für einen Neubau brauche.
So könne die Stadt bei den anstehenden Arbeiten die Gelder sinnvoll einzuplanen, so Ast. Und auch abzuwägen, ob die Reparatur überhaupt noch möglich ist: „Manchmal sind die Schäden so groß, dass die Reparatur schlicht nicht mehr sinnvoll ist“, sagt Ast mit Blick auf die frühere Kapellenstraße.
Wer sich über das ein oder andere Schlagloch ärgert, der kann sicher sein, dass das digitale Adlerauge dieses längst erfasst und auf den Zentimeter genau gespeichert hat. Und die Stadt es spätestens im Sommer auch auf dem Schirm hat.