Schwäbische Zeitung (Laupheim)
„Kino ist die Initialzündung für alles, was später kommt“
Produzentenpreisträger Martin Moszkowicz spricht im SZ-Interview über sein Wirken
- Der Filmproduzent Martin Moszkowicz hat bis vor Kurzem die Constantin Film AG geleitet. Er war an etlichen erfolgreichen Spielfilmen beteiligt. Für sein Lebenswerk wird ihm in diesem Jahr der Carl-Laemmle-Produzentenpreis verliehen. Die „Schwäbische Zeitung“hat mit dem Produzenten über seine Arbeit, seine Besuche in Laupheim und die Zukunft von Film und Kino gesprochen.
Herr Moszkowicz, stellen Sie sich vor, es ist ein regnerischer Tag, welchen Film oder welche Serie schauen Sie sich an?
Ich mache das weniger von meinen Stimmungen abhängig, sondern versuche immer, die Sachen zu sehen, die mich interessieren könnten. Mich faszinieren unterschiedliche Dinge, das heißt: Ich kann einen japanischen SchwarzWeiß-Film aus den 50er Jahren mit der gleichen Begeisterung anschauen wie eine Marvel-Verfilmung. Ich schaue berufsbedingt sehr viel und auch gerne. Für mich ist es immer spannend zu sehen: Was machen die Kollegen und Kolleginnen gerade?
Sie saßen bei der ersten Verleihung des Carl-Laemmle-Produzentenpreises 2017 in der Jury. Wie fühlt es sich an, nun selbst die Auszeichnung zu erhalten?
Der Name Carl Laemmle sagte mir damals schon etwas, weil das zur filmhistorischen Bildung gehört. Deshalb wusste ich, dass er aus der Gegend um Ulm herum stammt. Als ich die Ehre hatte, als Vorsitzender der Jury tätig zu sein, habe ich mich intensiv mit seiner Biografie auseinandergesetzt. Ich bin dann erst mal nach Laupheim gekommen und habe mir angeschaut, wo dieser großartige Produzent seine Wurzeln hatte. Das hat meinem Wissen über ihn als bahnbrechenden Filmproduzenten-Studioboss eine zusätzliche Dimension gegeben. Dass ich in den ersten Jahren dabei sein durfte und jetzt den Preis sogar selbst entgegennehmen darf, das ehrt mich unglaublich.
Wie oft haben Sie unsere kleine Stadt Laupheim bereits besucht?
Ich war vier- oder fünfmal in Laupheim, habe mir die Stadt angeschaut und viele interessante Menschen kennengelernt. Was mir sehr gefallen hat, war die Gastfreundschaft und die Art und Weise, wie offen ein paar Hundert Leute aus den Medienzentren Deutschlands und Europas hier in der Stadt empfangen werden. Außerdem habe ich gelernt, dass einige Weltmarktführer in verschiedenen Bereichen in der Region ansässig sind. Und ich habe mich auch mit der jüdischen Geschichte der Stadt beschäftigt. Mein Vater kam aus einer kleinen Stadt in Westfalen. Ich habe zahlmöchte
reiche Parallelen zu meiner Familiengeschichte gesehen, was das jüdische Leben vor dem Jahr 1938 betrifft.
Wie fühlt es sich an, einen Preis für sein Lebenswerk zu bekommen?
Als ich den Anruf erhalten habe, war ich wirklich überrascht. Ich habe nicht mit dem Preis gerechnet. Es ist ein Lebenswerkpreis und ich fühle mich da sehr geehrt, aber mein Lebenswerk ist noch nicht ganz fertig. Ich habe vor, noch einige Filme zu machen.
Was hat Sie dazu bewogen, die Position des Vorstandsvorsitzenden der Constantin Film AG abzugeben?
Ich habe zehn Jahre lang den Vorstandsvorsitz bei Constantin Film gehabt, davor war ich Mitglied des Vorstandes und Produktionschef. Seit 1990 bin ich in der Firma. Die Entscheidung, dass Oliver Berben mein Nachfolger wird, ist schon vor weit über zwei Jahren gefallen. Ich halte es für enorm wichtig für die Constantin Film als Marktführerin, dass es diesen Generationswechsel jetzt gibt. Was mich betrifft: Ich freue mich jetzt auf das, was kommt. Ich habe am 29. Februar meinen letzten Arbeitstag als Vorstandsvorsitzender gehabt und am 1. März bin ich mit einigen Projekten als Produzent gestartet.
Was darf das Publikum erwarten?
Zum Teil sind das Adaptionen von bekannten Büchern, zum Teil sind es Ideen, die ich schon lange mit mir herumgetragen habe, aber nicht verfolgen konnte. Doch jetzt habe ich die Zeit, mich damit zu beschäftigen. Ich bin nach wie vor in der Constantin Film integriert – jetzt als einer von über 50 Produzentinnen und Produzenten. Ich bin der Firma sehr dankbar, dass sie mir diese Möglichkeit gibt. Ich will mich auf Kinofilme konzentrieren,
etwa zwei Drittel deutschsprachige und ein Drittel englischsprachige Produktionen machen. Sicherlich der größte Unterschied zu meiner Zeit als Vorstandsvorsitzender wird sein: Ich muss nicht mehr jährlich um die 300 Millionen Umsatz generieren, um eine Firma von dieser Größe am Laufen zu halten. Das bedeutet, im Jahr zwölf bis 15 Kinoproduktionen und unzähligen TV-Produktionen grünes Licht zu geben. Diesen Druck habe ich jetzt zum Glück nicht mehr.
Im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“haben Sie im Jahr 2017 gesagt, dass man manchen prominenten Gästen erklären musste, warum sie nach Laupheim kommen sollen. Wie ist das inzwischen?
Erst mal ist es großartig, dass es den Carl-Laemmle-Produzentenpreis überhaupt gibt. Das ist ein Teil der Anerkennung, die unser Beruf braucht, denn er ist der erste und einzige dezidierte Preis für Produzentinnen und Produzenten. Insofern ist es völlig richtig, den Preis mit einer so besonderen Persönlichkeit wie Carl Laemmle zu verbinden. Dieser unglaubliche Optimismus, den er gehabt haben muss, seine Heimat zu verlassen, nach Amerika zu gehen und fest daran zu glauben, dass dieses neue Medium Film die Zukunft ist, hat mich immer beeindruckt. Ich glaube, dieser Optimismus, und ich will mich sicher nicht mit Carl Laemmle vergleichen, gehört in der Filmbranche dazu. Und ich bin überzeugt, dass Laupheim in der Branche inzwischen eine bekannte Größe ist. Alle großen internationalen Fachzeitschriften von „Variety“über „Deadline“bis zum „Hollywood Reporter“haben über den Carl-Laemmle-Preis und Laupheim berichtet.
Als Produzent und Vorstand waren Sie an über 300 Kinofilmen beteiligt. Gibt es einen Film, mit dem Sie eine besondere Erinnerung verbinden?
Für mich ist immer der nächste Film der allerwichtigste. Da geht alle Energie rein. Wenn ich eine private Sache anmerken darf: Großes Glück waren die Dreharbeiten, bei denen ich meine Frau kennengelernt habe. Insofern war, was meine gesamte Biografie betrifft, der wichtigste Film von Doris Dörrie: Bin ich schön? Den Film haben wir in den 90er-Jahren produziert. Damals war Bernd Eichinger noch Geschäftsführer der Firma und wir sind das Projekt gemeinsam angegangen.
Aktuell ist häufig von multiplen Krisen die Rede. Wollen die Leute in solchen Zeiten lieber leichte Film- und Fernsehkost sehen?
Ich glaube, dass das sehr überbewertet
ist. Sicher, wenn man die jüngsten amerikanischen Erfolge anschaut – ob das jetzt Barbie oder Oppenheimer ist – dann hat das auch damit etwas zu tun, welche Stimmungen es in der Gesellschaft gibt. Andererseits: Die großen Filme, die wir alle kennen und bewundern – ob das jetzt Casablanca oder Der Pate ist – sind ganz gut über die Zeit hinweggekommen. Es gibt so viele Bereiche im Film. Nehmen Sie mal den Film Noir, der im Zweiten Weltkrieg und in den Jahren danach seine starke Zeit hatte. Ich glaube nicht, dass man pauschal sagen kann, in schweren Zeiten wollen die Leute lachen. Ich weiß nur eines: Menschen gehen in schweren Zeiten trotzdem gerne ins Kino. Deshalb war diese Covid-Zeit so furchtbar für unsere Branche, weil Kino plötzlich nicht mehr möglich war.
Sie sind inzwischen Honorarprofessor an der Hochschule für Fernsehen und Film in München. Gibt es eine Botschaft, die Sie ihren Studierenden mit auf den Weg geben?
Ich versuche den Studierenden mitzugeben, dass sie einen offenen Blick behalten sollen. Kein Projekt ist wie das andere. Wir können unser Geschäft nicht wie eine Schraubenproduktion skalieren. Das war vielleicht auch mit einer der größten Fehler im goldenen Zeitalter der Streaming-Produktionen, da hat man gedacht, man kann das Geschäft beliebig multiplizieren. Und man kann so viel KI einsetzen, wie man will. Wir müssen uns als Storyteller sehen. Wir nutzen eine der ältesten überlieferten menschlichen Gaben: Geschichten zu erzählen, und zwar so zu erzählen, dass sie andere Menschen faszinieren.
Vor welche Herausforderungen stellen Neuerungen wie Computeranimationen und Künstliche Intelligenz die Filmbranche? Werden Schauspieler irgendwann überflüssig sein?
Es ist ein Hilfsmittel, das alle Prozesse in Entwicklung, Produktion und Auswertung betreffen wird. Wir haben zum Beispiel gerade einen Film in der Postproduktion, bei dem Teile des Szenenbilds mit der Unreal Engine gemacht worden sind. Unreal Engine ist eine aus dem Spielbereich kommende
Technologie, die in der Lage ist, fremde Welten darzustellen in einer unglaublichen Geschwindigkeit und einer noch viel unglaublicheren Qualität. Es ist eine Erweiterung der Möglichkeiten. Ich würde sehr dazu raten, etwas optimistischer an das Thema ranzugehen. Ich glaube, dass KI unsere Geschäfte bereichern wird und trotzdem ist es so, dass eine wirklich gute Geschichte nicht unbedingt über eine Wahrscheinlichkeitsberechnung erdacht werden kann.
Das Kino wurde schon oft totgesagt – erst kam der Videorekorder, dann die DVD, jetzt kann man sich mit Streaming das Kino ins Haus holen. Doch was kann Kino, das Streaming nicht kann?
Ich glaube, an Kino kann keine andere Form der Wiedergabe von audiovisuellen Inhalten herankommen. Wenn Sie sich das mal anschauen: Es gab im September 1921, vor weit über 100 Jahren, eine Schlagzeile in der „Variety“. Damals hieß es, wenn der Tonfilm kommt, wird es keine Chance geben, wie die Branche überleben kann. Das Gegenteil war der Fall. Wir müssen Kino zwar immer wieder neu erfinden, aber die Möglichkeit, mit vielen anderen Menschen in einem Kino zu sitzen und etwas zu erleben, das kriegen sie nicht zu Hause hin. Und es wird immer wieder Filmemacher und Filmemacherinnen geben, die zu ihrer Generation in einer kreativen Sprache sprechen, die einzigartig ist und erfolgreich. Man sieht das auch daran, dass jetzt viele Streamingdienste große Kinoproduktionen finanzieren, weil sie doch auch gerne Teil dieses emotionalen Erlebnisses sein wollen. Ich glaube sogar, dass früher oder später alle wieder darauf zurückkommen, dass man einen Film erst im Kino zeigt und dann auf eine Plattform stellt. Die Massendistribution von Filmen passiert bereits seit mehr als 30 Jahren. Das Kino ist da die Speerspitze. Aber die Zahlen, die im Kino gemacht werden, stehen in keinem Verhältnis zu dem von Fernsehen und Streaming. Es ist einfach so, dass das Kino die Initialzündung für alles ist, was später kommt.