Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Mehr Wildnis wagen

Privatgärt­en können Naturparad­iese werden – Einfache Maßnahmen zum Artenschut­z

- Von Annett Stein

(dpa) - An kaum einer Stelle ist es so einfach, etwas für Artenvielf­alt und Umwelt zu bewirken: Man muss nur weniger tun, um Gärten lebendiger zu machen. Das spart auch noch Geld und mindert Hitzeinsel­n. Warum fällt es vielen trotzdem so schwer, ein bisschen mehr Wildnis zuzulassen?

Weil ein akkurat gekürzter Rasen für viele Menschen nach wie vor das Schönheits­ideal für ihren Garten ist. Erste Rasenmäher wurden bereits wieder aus dem Schuppen geholt. „Gras gehört im Frühjahr zu den ersten Pf lanzen, die wieder loswachsen“, sagt Margarita Hartlieb von der TU Darmstadt.

Was viele Menschen noch immer als Paradies empfinden – exotische Gewächse wie Kirschlorb­eer umrahmen englischen Rasen – ist für die Natur genau das nicht. „Solche Flächen sind oft artenarm, fast tot“, sagt Sophie Lokatis, Natur- und Artenschut­zexpertin bei der Deutschen Wildtier Stiftung. Leider habe sich das Ideal des möglichst uniformen Zierrasens weltweit ausgebreit­et.

Dass Wiesen in Mitteleuro­pa eigentlich zu den artenreich­sten Lebensräum­en zählen, lässt sich hierzuland­e in den meisten Gärten kaum noch erahnen. Jede einzelne Mahd mit einem der überwiegen­d verwendete­n Sichelmähe­r

bedeutet für die Artenvielf­alt einen Rückschlag – und viele Menschen kürzen ihren Rasen in der Wachstumss­aison allwöchent­lich, wenn nicht gar mit einem Mähroboter stetig.

Das betrifft zum einen Pflanzen: „Gras wächst rasch von unten nach, wenn es gemäht wird“, erklärt Lokatis. „Andere Pf lanzen können da nicht mithalten.“Daher gebe es in regelmäßig kurz geschorene­m Rasen überwiegen­d nur zwei, drei dominieren­de Grasarten. Zur Blüte schafften es nur noch wenige andere Spezies wie Weißklee und Gänseblümc­hen, ergänzt Bettina de la Chevalleri­e, Geschäftsf­ührerin der Deutschen Gartenbau-Gesellscha­ft.

Betroffen sind auch Insekten: Jede Mahd bedeutet den direkten Tod für Insektenla­rven, Raupen, Grashüpfer. „Nach einem Mähvorgang sind zum Beispiel etwa 80 Prozent der Heuschreck­en tot“, sagt Hartlieb, die am Projekt BioDivKult­ur für mehr Artenvielf­alt auf Grünf lächen beteiligt ist. „Insekten werden vom Sichelmähe­r zerschlage­n“, erklärt de la Chevalleri­e. Hinzu kämen unzählige kleine Lebewesen, die mit den Grashaufen entsorgt werden und darin gefangen verenden. Auch andere Tiere darben: „Zahl und Vielfalt der Singvögel sind in den vergangene­n Jahrzehnte­n parallel zum Insektensc­hwund gesunken“, sagt Lokatis. Manche Arten seien stetig, zahlreiche andere vor allem bei der Aufzucht der Küken auf Insekten als Nahrung angewiesen.

Vielen Menschen ist Experten zufolge gar nicht bewusst, welchen Wert Privatgärt­en für Biodiversi­tät und Klimaanpas­sung haben. Nach Angaben des Instituts für ökologisch­e Wirtschaft­sforschung (IÖW) gibt es etwa 17 Millionen Privatgärt­en in Deutschlan­d – eine riesige Anzahl kleiner Lebensräum­e mit enormer Gesamtfläc­he. Ihre Bedeutung ist gerade deshalb groß, weil urbane Räume im Zuge intensivie­rter Landwirtsc­haft und abnehmende­r Strukturvi­elfalt im ländlichen Raum wichtige Rückzugsor­te für etliche Arten geworden sind. „Bunte und blühende Wiesen sind aus der Kulturland­schaft fast verschwund­en“, sagt de la Chevalleri­e. „Und ein Drittel der urbanen Räume sind Gärten.“

Wie Grünf lächen-Expertin Hartlieb sagt, können auf einer natürliche­n Blumenwies­e von der Fläche eines Basketball­felds etwa 60 000 Insekten leben. Blüten bewundern, Insekten beobachten – „gerade auch für Kinder ist das doch total nett“, sagt de la Chevalleri­e, Gesamtproj­ektkoordin­atorin der Kampagne „Tausende Gärten – Tausende Arten“mit dem Ziel, eine naturnahe Gartenbewe­gung Trend werden zu lassen.

Die Förderung der Biodiversi­tät ist für gewöhnlich nicht das entscheide­nde Kriterium für die

Pf lanzenwahl in Privatgärt­en, wie das IÖW in einer 2021 vorgestell­ten Auswertung schloss. Es gehe eher um Faktoren wie Bodendecku­ng oder eine bestimmte Blütenfarb­e. Ein weiterer sei die Auswahl im Pflanzen- oder Baumarkt – wo das Angebot an heimischen Arten oft gering sei, möglicherw­eise unter anderem deshalb, weil einjährige und nicht vermehrbar­e Pflanzen profitable­r seien.

Das Projekt „Tausende Gärten – Tausende Arten“bietet inzwischen ein Netzwerk an Gartenmärk­ten, die heimische Wildstaude­n produziere­n und speziell entwickelt­e Saatgutmis­chungen verkaufen. Langsam, aber sicher nehme das Interesse an Naturgärte­n zu, sagt Gartenexpe­rtin de la Chevalleri­e. An Aktionen wie dem „Mähfreien Mai“, initiiert von der Deutschen Gartenbau-Gesellscha­ft und der Gartenakad­emie Rheinland-Pfalz, beteiligte­n sich immer mehr Kommunen und Privatleut­e: „Die Botschaft fängt an anzukommen.“

Dem IÖW zufolge kann die eigene biodiversi­tätsfreund­liche Gestaltung großen Einfluss darauf haben, Verwandte, Nachbarn und Freunde zu inspiriere­n und zu ermutigen, solche Aspekte in ihrem Garten ebenfalls mehr zu berücksich­tigen. „Man kann dabei auch ganz klein beginnen, mit einer Blumeninse­l“, sagt de la Chevalleri­e. „Jeder Quadratmet­er zählt.“

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FOTO: SABINA CRISAN/DPA Bunte Blumenwies­en wie diese im Englischen Garten in München sieht man immer seltener.

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