Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Sektenähnliche Strukturen“
Krista Federspiel über „ Germanische Neue Medizin“
- Warum fallen Menschen auf absurde Thesen wie die von Ryke Geerd Hamer herein? Das erklärt die Medizinjournalistin Krista Federspiel im Gespräch mit Katja Korf.
Ist der aktuelle Fall ein Einzelfall?
Nein. Seit 1983 gibt es rund 500 Patienten, die sich auf die sogenannte Neue Germanische Medizin von Ryke Geerd Hamer verlassen haben und gestorben sind.
Warum fallen so viele Menschen auf diese Thesen herein?
Die These lautet, ein seelischer Konflikt wäre die Grundlage einer Erkrankung. Das klingt für Betroffene verständlicher als die komplizierte, wissenschaftliche Erklärung: Eine Zelle verändert sich durch verschiedene Einflüsse und entwickelt sich zu einem Tumor. Außerdem haben sich Hamer und seine Anhänger immer stärker zu einer Sekte entwickelt, die ihre Lehre verbreitet hat.
Was heißt das?
Wenn Menschen in einer kritischen Lebenssituation von Sektenvertretern angesprochen werden, können sie leicht in diese Wahnwelt hineingezogen werden. Sie geraten in ein Glaubenssystem, aus dem sie von alleine nicht herausfinden. Alles außerhalb dieses Gedankengebäudes wird verleugnet oder verdrängt.
Zu der Gedankenwelt gehören auch rechtsextreme Ansichten.
2003 kam der Begriff „Germanische Neue Medizin“für Hamers Theorien auf. Er wollte seine Medizin zunächst biologische Medizin nennen, dann hat er das „Germanische“als Reizwort gewählt und auch antisemitische Thesen aufgenommen – wohl auch, um Aufmerksamkeit zu erreichen. Einige seiner Anhänger sind eindeutig dem rechtsextremen Milieu zuzuordnen, etwa der Vorsitzende des NPD-Kreisverbandes Passau, Martin Gabling.
Wie sieht Hamers Therapie aus?
Er empfiehlt, nichts zu tun außer der von ihm erfundenen Konfliktolyse. Damit soll in „Therapiesitzungen“der seelische Konflikt beseitigt werden, der angeblich den Krebs oder die Krankheit ausgelöst hat. Danach soll der Patient auch Schmerzen durchleiden, Hamer hat seinen Patienten auch keine Schmerzmittel verabreicht. Sein Versprechen ist: Wenn du den Schmerz erträgst, kommt die Heilung. Die Betroffenen sterben also unter Schmerzen, sie leiden Qualen. Und dennoch gibt es Briefe, die Kranke kurz vor ihrem Tod geschrieben haben, die trotz ihrer Schmerzen weiter an das Heilsversprechen Hamers geglaubt haben
Woran liegt das?
Innerhalb der Anhängerschaft wird nicht über Misserfolge diskutiert. In seinen Kliniken hat Hamer gelegentlich Eisbeutel, Coca-Cola oder Cortison gegen Krebs eingesetzt. Das hat natürlich nicht gewirkt, aber dennoch haben seine Anhänger weiter an ihn geglaubt. Das sind eben diese sektenähnlichen Strukturen: Ein Gedankengebäude, in dem Widerspruch nicht vorkommt oder als von bösen äußeren Mächten gesteuert dargestellt wird.
Was ist so gefährlich an solchen Heilsversprechen?
Die Gefahr ist, dass eine heilbare Krankheit – auch viele Krebsarten sind heute gut zu behandeln – weiter fortschreitet, sogar bis zum Tod. Das Tragische ist, dass die Menschen so tief verstrickt in die Gedankenwelt Hamers sind, dass sie nicht mehr herausfinden. Wie bei anderen Sekten wird auch dazu geraten, den Kontakt zum Hausarzt und zu kritischen Angehörigen abzubrechen.