Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Fahrerflucht auf der Skipiste
In den Wintersportgebieten häuft sich das unerlaubte Entfernen bei Unfällen auf den Abfahrten – Aufklärungsquote gering
- Rückkehr zum Auto auf dem Supermarkt-Parkplatz. Ein Blick auf das Gefährt – und siehe da, das Rücklicht ist weggerammt. Vom Übeltäter ist nichts zu sehen. Unfallflucht. Das gehört fast schon zum Alltag. Polizeimeldungen bestätigen den Trend. Dass es auch anderswo zunehmend Neigungen zur Unfallflucht gibt, ist weniger bekannt. Dieses Davonstehlen betrifft den Wintersport. Man muss sich also auf Skiern oder Snowboards bewegen, um betroffen zu sein. Zahlreiche Bretterl-Fans sind es inzwischen. Deshalb hat die österreichische Alpinpolizei Alarm geschlagen. Bis Ende Februar hat sie bei Skiunfällen 426 mal Fahrerflucht registriert.
Nachrichten dazu gibt es genug. Am Wochenende war eine deutsche Skifahrerin im Tiroler Wintersportort St. Johann betroffen. Ein Unbekannter fuhr sie über den Haufen und machte sich aus dem Staub. Die Frau blieb schwer verletzt zurück. In einem Skigebiet der Brenner-Region traf es eine Niederländerin. Bei der Kollision brach sie sich einige Rippen. Der Verursacher schaute, dass er unerkannt ins Tal kam. In Lech am Arlberg wurde ein junger Mann von einem noch jüngeren Burschen umgefahren. Von Letzterem fehlt jede Spur. Sein Opfer ist in ärztlicher Behandlung.
Der Helm macht anonym
Selbst wer beim Zusammenprall unverletzt bleiben sollte, kann dem flüchtenden Schurken höchsten noch die Skier hinterherwerfen. Im heutigen Gewimmel auf den Pisten ist nichts leichter als unterzutauchen. Auf den, der sich schuldig fühlt, lauert die Versuchung geradezu. Hans Ebner, Leiter der Alpinpolizei im österreichischen Innenministerium meint, dass rund ein Viertel aller Kollisionsunfälle Unglücke mit Fahrerflucht seien. Stefan Jungmann, einer seiner Kollegen aus Tirol hat festgestellt: „Auf der Piste gibt es noch weniger Zivilcourage als auf der Straße.“Er weist darauf hin, dass man sich Auffälligkeiten an der Skikleidung merken soll.
Dieser Tipp ist aber so banal wie untauglich. Wer nach einer Kollision bewusstlos im Schnee liegt, dürfte ein schlechter Zeuge sein. Beobachter der Szene werden oft Schwierigkeiten haben, sich in der buntscheckigen Welt der Skikleidung zu orientieren. Hinzu kommt, dass inzwischen 80 bis 90 Prozent der Wintersportler einen Sturzhelm tragen. Diese Quote geht übrigens auch auf eine Kollision zurück. Am 1. Januar 2009 war der damalige thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus in einem steierischen Skigebiet mit einer Frau zusammengestoßen. Beide hatten keinen Kopfschutz. Die Frau starb. Althaus überlebte mit Glück. Der in den Medien rauf und runter beschriebene Unfall sorgte für einen Boom beim Verkauf von Helmen. Leider lassen sich unter ihnen auch gut die Gesichter verbergen. Die Polizei tut sich mit entsprechenden Ermittlungen schwerer.
Anders als in Österreich ist die Unfallflucht auf der Piste in Deutschland noch nicht einmal automatisch eine Straftat. Nur die Bayern haben eine Ausnahmeregel. Sie lautet ungefähr so: Wer auf Nebenpisten zum flüchtigen Rambo wird, hat weniger zu befürchten als jemand, der auf einer definierten Hauptskiabfahrt sein Opfer alleine lässt. Weil aber letztlich keine klare Regel exis- tiert, gibt es auch keine brauchbare Statistik wie im südlichen Nachbarland. Dort kümmert sich die speziell für Bergunfälle gegründete Alpinpolizei um Spitzbuben auf der Piste. Wie ermittelt wird, hat ihre Vorarlberger Abteilung dieser Tage am Bödele bei der historischen Bregenzerwald-Gemeinde Schwarzenberg gezeigt.
Meist Fahrlässigkeit
Ob Straße oder Piste ist eigentlich egal: „Wir müssen so oder so den Unfallhergang ausforschen“, sagt Rainer Fitz, Leiter des Alpindienstes in Vorarlberg. Er hat dafür ein Unglück im Schnee nachstellen lassen, eine Kollision mit einem Verletzten. Ein auf Skiern herbeischwingender Beamter geht der Unfallursache nach, befragt Opfer und Zeugen, untersucht Spuren. Wie auf der Straße zeichnet er mit der Spraydose die von den Skiern im Schnee hinterlassenen Rillen nach. Das, was der Mann ermittelt, geht dann zur Staatsanwaltschaft. Daniel Simmer, einer ihrer Vertreter, ist auch mit hoch zum Bödele gekommen. Meist, sagt er, gehe es bei Kollisionen um fahrlässige Körperverletzung. Eine Geldstrafe sei die Regel. Bei schwerer Körperverletzung können aber bereits zwei Jahre Haft drohen – wenn etwa ein Pisten-Brutalo absichtlich in eine Gruppe wartender Skifahrer hineinfährt und anschließend auch noch verschwindet. Auch demjenigen, der als Zeuge tatenlos einen Verletzten betrachtet, winkt eine Gefängnisstrafe – in diesem Fall wegen unterlassener Hilfeleistung.
Zur Anklage kommen in Vorarlberg im Schnitt pro Jahr aber höchstens 20 Kollisionsfälle – bei durchschnittlich 400 erfassten Zusam- Stefan Jungmann von der
Tiroler Alpinpolizei menstößen im Land. Für die geringe Zahl der Anklageerhebungen gibt es diverse Gründe. Zum einen ist womöglich nicht viel passiert. Immer wieder stellt die Alpinpolizei aber auch fest, dass sich zwei Skifahrer nach einem Zusammenprall wieder aufrappeln, keinen Schmerz verspüren und sich erst einmal gütlich trennen – ohne Austausch der Adressen. Später im Hotel sieht einer der Pechvögel dann sein dickes Knie oder die blau-grün gefärbte Schulter. Wenn jetzt noch einer eine Anzeige stellt, ist dies praktisch für die Katz’. Letztlich hat sich die gleiche Situation ergeben wie bei einer Unfallflucht: Der andere ist nur noch höchst schwierig zu ermitteln.
Kameraaufnahmen als Beweis
Den typischen Ski-Schurken scheint es übrigens nicht zu geben. Alkohol spielt offenbar immer mal wieder eine wenig überraschende Rolle. Wobei die Alpinpolizei jedoch festgestellt hat, dass sich die früher bei manchen Skifahrern so beliebten Schnäpschen für zwischendurch eher auf die Après-Ski-Partys verlagert haben. Auch der gerne von älteren Wintersportlern geäußerte Verdacht, wilde, junge Snowboarder würden die Senioren von der Piste keulen, lässt sich laut Polizei nicht halten. Bei Unfallflüchtigen ist es noch schwerer, ein Profil zu erstellen, weil die Ermittlungen selten zum Erfolg führen. Künftig könnte aber der Zeitgeist bei den Nachforschungen helfen. Er verlangt nämlich zunehmend das Fahren mit Helmkamera, um sich später mit dem Film in sozialen Internetmedien als Skistar feiern zu können. Für die Polizei bedeuten solche Aufnahmen womöglich passable Fahndungsfotos.
„Auf der Piste gibt es noch weniger Zivilcourage als auf der Straße.“