Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Im Obstgarten des Friedens
Ein Waldorf-Kindergarten führt in Jaffa jüdische, muslimische und christliche Kinder zusammen
- Schmale Fluchten verbinden die Häuser in der Altstadt der israelischen Stadt Jaffa. Mittendrin liegt ein Garten, an dessen Rand hinter Zäunen Hühner gackern. Hier, im „Obstgarten von Abrahams Kindern“, liegt das Freigelände eines für Israel so einmaligen Kindergartens. Ihab, gebürtiger Palästinenser, und seine jüdische Ehefrau Ora Balha betreuen mittlerweile 60 jüdische, palästinensische und christliche Kinder im Alter von drei Monaten bis zu sechs Jahren. Dabei orientieren sie sich an der anthroposophischen Lehre Rudolf Steiners.
Ihab Balha bezeichnet sich als Friedensaktivist und Erzieher, der sich der sufistischen Bewegung zugehörig fühlt. Diese besitzt starke Bezüge zur sunnitischen Lehre. Aber auch in der jüdischen Religion existieren vom Sufismus beeinflusste Strömungen. So interpretiert seine Ehefrau sufistische Tänze, das Paar tritt auch zusammen auf. „Wir wollen zeigen, dass ein friedliches Zusammenleben möglich ist“, betont Ihab Balha beim Besuch des badenwürttembergischen Finanz- und Wirtschaftsministers Nils Schmid (SPD) während dessen jüngster Israelreise. Dieser nickt verständnisvoll, das Eis bricht schnell. „Ich bin mit einer muslimischen Frau verheiratet“, verrät Schmid den Gastgebern, „ich kenne den interreligiösen Dialog.“
Im Wohnzimmer der Balhas lässt sich Schmid einen Lebenslauf schildern, der in der nahöstlichen Welt nicht ungewöhnlich ist. Aufgewachsen ist der äußerlich einem indischen Guru ähnelnde Gründer des Kindergartens mit seiner Mutter in einem Flüchtlingscamp in Kairo. Vor etwa 20 Jahren kehrte er in seine Heimat Jaffa mit eher unfriedlichen Gedanken zurück. „Ich hätte am liebsten jeden Juden erschossen.“Einen von ihnen traf er, die beiden Männer schlossen Freundschaft. Da wurde Ihab Balha zum ersten Mal von seiner Familie verstoßen.
Nach der Versöhnung nahm ihm sein Vater bei der gemeinsamen Wallfahrt nach Mekka, der Sohn war 35 geworden, das Versprechen ab, bald zu heiraten. Dass es eine Jüdin sein sollte, sorgte für die nächste Trennung. Eine Trennung wieder auf Zeit. „Heute sind meine Eltern so etwas wie die Großeltern aller Kin- der“, sagt Ihab, während sich sein zweitgeborener Sohn auf seinen Schoß setzt. Die Idee, einen Kindergarten zu gründen, hatte das Paar nach der Geburt des ersten Sohnes. „Wir begannen die Arbeit mit unserem und einem Kind von Bekannten“, berichtet die Mutter, die einen Säugling im Wickeltuch bei sich trägt. Wieder ein Sohn.
Finanziert wird der Kindergarten vor allem durch die Beiträge der Eltern und durch Spenden. Auch das israelische Bildungsministerium trägt zum Etat bei. Dieser liegt für 2015 bei umgerechnet 491 000 Euro. 19 Erzieherinnen arbeiten in der Einrichtung. Vormittags betreuen jeweils drei, nachmittags jeweils zwei die vier Gruppen. Mindestens eine arabische und eine jüdische Kraft sind darunter. Auch gekocht und gegessen, streng biologisch-dynamisch, wird auf dem Areal.
Umdenkungsprozess beginnt
Das Ehepaar versichert, dass in ihrem Umfeld ein Umdenkungsprozess begonnen habe. Sie binden die Eltern in die Arbeit ein, sie halten regelmäßige Versammlungen ab. „Wir wollen die gemeinsamen Wurzeln der Religionen vermitteln“, sagt Ora Balha. So lernen die Kinder Lieder aller Glaubensrichtungen. Längst hätten sich über den Kindergarten hinaus Verbindungen über religiöse Gräben hinweg ergeben. Eltern träfen sich auch privat, „sie helfen sich gegenseitig“, berichtet Ihab Balha.
„Tief beeindruckt“verließ Nils Schmid die Einrichtung. Zuvor hatte er den Initiatoren einen Spendenscheck und den Kindern Schokolade in die Hand gedrückt. Die Balhas drückten ein Auge zu, da diese nicht hundertprozentig öko war.