Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Verärgerung über Katars Advents-WM
Europas Fußballklubs fordern Entschädigungszahlungen – Verwunderung beim Skiverband
ublic Viewing allerorten, Großleinwände in Biergärten, Autokorsos im Erfolgsfall: Die Fußballfreunde in Deutschland und Europa haben seit der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland viele Rituale lieb gewonnen. Rituale, von denen sie sich in knapp acht Jahren voraussichtlich verabschieden müssen: Wegen der drückenden Sommerhitze im Austragungsland Katar (siehe Grafik unten) wird die Fußballweltmeisterschaft 2022, was ein Novum ist, in der Vorweihnachtszeit ausgetragen. Gespielt wird – laut der Nachrichtenagentur AFP – von 26. November bis 23. Dezember.
Ein WM-Finale am Tag vor Heiligabend? Ein Turnier zu einer Zeit, in der in allen großen europäischen Fußball-Ligen und in der Champions League gespielt wird? Zu einer Zeit, in der die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ARD und ZDF generell voll in die Wintersport-Übertragungen einsteigen? Die Terminierung, die Mitte März von der Exekutive des Fußball-Weltverbandes (Fifa) noch bestätigt werden muss, sorgt für Verwunderung, immense organisatorische Probleme und hohe Folgekosten vor allem für die Klubs.
Um den Nationalmannschaften eine vernünftige Vorbereitungszeit auf die Titelkämpfe zu gewähren, müssten die Ligen den Spielbetrieb wohl bereits Ende Oktober abbrechen, die Winterpause würde sich um fast zwei Monate verlängern. Besonders groß ist die Verärgerung darüber in England. Dort wird in der Eliteklasse Premier League traditionell am 2. Weihnachtstag, dem sogenannten „Boxing Day“, gespielt. Außerdem hatte sich das Mutterland des Fußballs bekanntlich ebenfalls um die WM 2022 beworben. „Sehr enttäuschend“nannte Premier-League-Boss Richard Scudamore die Entscheidung und fügte hinzu: „Ich denke, ich spreche da für alle europäischen Ligen und Klubs, die nunmal die meisten Spieler stellen.“
Es scheint so zu sein. Frédéric Thiriez, der Präsident der Europäi- schen Profifußball-Ligen EPFL und der französischen Profiliga LFP, reagierte empört. „Stellen Sie sich vor, was in Frankreich, in Deutschland, in Spanien, in Italien los sein wird“, sagte Thiriez. Während der verlängerten Pause „werden die Spieler nicht spielen, die Klubs werden keine Einnahmen mehr haben, die Fußballfans werden um die nationalen Wettbewerbe gebracht und die Fernsehsender werden wütend sein und Entschädigung verlangen.“
Finanzielle Kompensation von der Fifa forderte denn auch umgehend Bayern Münchens Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge. In seiner Funktion als Vorsitzender der europäischen Klub-Vereinigung ECA erklärte der 59-Jährige am Dienstag: „Den europäischen Klubs und Ligen kann nicht zugemutet werden, allein den Preis für die Verlegung der WM 2022 in den Winter zu bezahlen. Wir erwarten ebenso die Bereitschaft, den Schaden für die Klubs zu kompensieren.“
Auch Rummenigge hatte sich gegen einen WM im katarischen Sommer ausgesprochen, jedoch einen Termin im Frühjahr präferiert. UefaPräsident Michel Platini wäre Januar/Februar am liebsten gewesen. Doch dieser Termin war aufgrund der zeitgleich stattfindenden Olympischen Winterspiele – von 4. bis 20. Februar – nicht möglich. Fifa-Präsident Sepp Blatter, gleichzeitig Mitglied im Internationalen Olympischen Komitee (IOC), hatte dies dem deutschen IOC-Präsidenten Thomas Bach versprochen.
Dennoch rief der nun anvisierte Termin bei den Wintersportlern Kritik hervor. Franz Steinle, Präsident des Deutschen Skiverbandes (DSV), sagte: „Dass es hier zu Interessenskollisionen kommen wird, liegt auf der Hand. Insofern ist es für uns unverständlich, dass sich die Fifa erst zu einem so späten Zeitpunkt Gedanken darüber macht, welche klimatischen Verhältnisse in Katar herrschen.“Und weiter: „Zu der Zeit finden bereits zahlreiche hochkarätige Skisport-Veranstaltungen statt.“
Keine Auswirkungen aufs Weihnachtsgeschäft befürchtet hingegen der Einzelhandel. „Die Leute kaufen unabhängig von äußeren Einflüssen Geschenke für ihre Lieben zu Weihnachten“, teilte ein Sprecher des Handelsverbands Deutschland mit. Noch gelassener steht der Deutsche Brauerbund der Winter-WM gegenüber: „Sicher wird die Zahl öffentlicher Veranstaltungen im Winter geringer ausfallen, aber dafür muss sich beim ,Public Freezing’ niemand Sorgen machen, dass das Bier nicht kalt genug ist.“Auch so kann man es sehen.