Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Der Traum vom fernen Osten
Wie Japan die Kunst der Moderne inspiriert hat: eine überbordende Schau im Kunsthaus Zürich
- Was für eine Fülle! Seit vielen Jahren hat man die Verflechtungen zwischen der japanischen und europäischen Kunst in der Zeit um 1900 nicht mehr so umfangreich gesehen wie jetzt im Kunsthaus Zürich. Der Titel der Ausstellung „Monet, Gauguin, van Gogh ... Inspiration Japan“ist zwar griffig und zielt vor allem auf die bereits bekannte Anregung französischer Impressionisten durch japanische Vorbilder. Tatsächlich reicht die Schau aber weit darüber hinaus.
Seit den Pariser Weltausstellungen von 1867 und 1878, auf denen Japan verschiedenste Erzeugnisse seiner Kultur präsentierte, träumte das Pariser Publikum so vom fernen Osten, dass alle, die etwas auf sich hielten, ihre Wohnung mit japanischen Objekten ausstatteten. Diese Begeisterung ging natürlich auch an den Malern jener Zeit nicht spurlos vorüber. Besonders die Holzschnitte des japanischen Künstlers Katsushika Hokusai (berühmt ist seine „Große Welle“1830/31) waren für die Impressionisten und ihre Nachfolger wichtige Impulsgeber. Viele Künstler besaßen Sammlungen japanischer Holzschnitte.
Kein Stil, sondern eine Haltung
Einer, der sich sogar explizit auf diese Vorbilder bezog, war Vincent van Gogh. Zum Beispiel indem er 1887 die Darstellung einer Geisha vor einem stilisierten Schilf- und Seerosenhintergrund auf Leinwand übertrug. Das Bild hängt am Beginn der Ausstellung im Kunsthaus und man ist überrascht, wie direkt der Maler das Motiv übernahm. Wie so manches in der üppigen Schau ist es eine Entdeckung, obwohl der Einfluss der japanischen Kunst auf die französische Malerei bekannt ist. Phänomene dieser Inspiration aus Fernost finden sich in den Bildern von Manet über Gauguin, Renoir, Monet, Redon, Vallotton, Bonnard bis zu Picasso. Nicht nur in den Motiven merkt man die Verflechtungen mit Japan, sondern auch in der Farb- und Flächengestaltung, in Mustern, in gewagten Anschnitten, im Mut zur leeren Fläche oder in der Betonung des Dekorativen. Dabei hatte kaum einer der gezeigten Künstler je das Land und seine Kultur vor Ort gesehen.
Der sogenannte Japonismus meint weder einen Stil noch eine Epoche. Er meint eine Haltung, die sich in vielen Bereichen von Kunst und Lebensart niedergeschlagen hat. Entsprechend umfangreich ist das, was in Zürich zu sehen ist. 350 Exponate in zehn Abteilungen umfasst der Parcours, der bei weitem nicht nur Gemälde und Grafik präsentiert. Reisefotos, Keramik, Fächer, Gewänder, Masken, Paravents und Möbel füllen die in dezentem Grau getünchten Räume. Bisweilen glaubt man eher in einem Völkerkundemuseum gelandet zu sein als in einer Kunstausstellung. Sandra Gianfreda hat die Präsentation für das Folkwang-Museum in Essen entwickelt und trägt auch jetzt in Zürich die Verantwortung da- für. Von der Devise „weniger ist mehr“scheint die Kuratorin nichts zu halten.
So schlendert der Kunstfreund von Abteilung zu Abteilung, sieht Ungeahntes und entdeckt Parallelen. Trotzdem verbinden sich die Objekte nicht wirklich mit den Gemälden, auf die es laut Austellungstitel doch ankommen sollte. Stattdessen stehen Kunst und Kunsthandwerk hier ne- beneinander und vermitteln dem Besucher den Eindruck, als wäre er in zwei Ausstellungen zugleich. Weniger Nippes, dafür mehr Malerei hätte manches Werk besser ins Licht gerückt.
Wie dies perfekt gelingen kann, zeigt etwa auf halber Strecke der Saal mit mehreren Seerosen- und Blumenbildern, die Claude Monet in seinem Garten in Giverny gemalt hat. Nur eine Vitrine mit Vasen ergänzt das Ensemble. Hinzu kommt eine blasse japanische Fotografie, die Vorhänge von Glyzinien zeigt, wie sie an Brücken und Spalieren in Giverny zu finden sind. Von solchen wunderbar in Szene gesetzten Gemälden hätte man gern mehr gesehen. Weiter geht es aber wieder mit einer Fülle von verschiedenen Exponaten.
Auch das Malen in Serie geht auf japanische Impulse zurück. So haben etwa die unzähligen Darstellungen des heiligen Berges Fuji im japanischen Holzschnitt ihr Pendant im Mont St. Victoire von Cézanne. Beispiele dafür gibt es neben Cézanne weitere in der Schau, sei es das pastellfarbene „Frühstück nach dem Bade“von Edgar Degas oder die atmosphärischen Themsebilder von James Whistler.
Die Verbindung von Europa und Japan gelingt den Malern der Moderne mit der Zeit immer besser, wie man in Zürich feststellen kann. Sie kopieren nicht länger die Motive, sondern setzen bewusst die ungewöhnlichen Kompositionselemente aus Fernost ein. Ein Beispiel dafür und Blickfang in der Schau ist van Goghs „Sämann bei Sonnenuntergang“von 1888. Das Bild wird von einem schiefen Baumstumpf im Vordergrund beherrscht, der sich wie in einem Scherenschnitt in den Vordergrund schiebt. Und hinter der Silhouette des Sämanns fließen die Farben der Landschaft zur riesigen Sonne am Horizont.