Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Der Schütze ist schweigsam

Kemptener Gericht verhandelt Attacke auf Polizisten im Allgäu-Express – Mutmaßlich­er Mittäter von Zug überrollt

- Von Klaus Schlösser

- Nach einem heftigen Schusswech­sel im Zug zwischen München und Kempten vor knapp einem Jahr steht seit Donnerstag ein 45-jähriger Mann aus Augsburg wegen versuchten Mordes an drei Polizeibea­mten vor dem Landgerich­t in Kempten. Bei einer Personenko­ntrolle soll er versucht haben, einem per Haftbefehl gesuchten, 20 Jahre alten Begleiter zur Flucht zu verhelfen. Beide waren schließlic­h aus dem fahrenden Zug gesprungen. Der jüngere Mann kam dabei ums Leben.

Nach dem Blitzlicht­gewitter der Pressefoto­grafen lehnt sich Michael W. lässig in die Ecke der Anklageban­k und hebt den Kopf. Hinter seiner Brille suchen hellwache Augen Kontakt zu Verwandten im Sitzungssa­al des Landgerich­ts. Mal klopft er mit der Faust auf seine Brust, mal zwinkert er ihnen zu.

Ein Grinsen im Gesicht

Dennoch verfolgt er aufmerksam die Aussagen der Polizeibea­mten, die bei dem Schusswech­sel im „Alex“(„Allgäu-Express“) zwischen Kaufbeuren und Kempten am 21. März 2014 zum Teil schwere Verletzung­en erlitten hatten. Als zwei Zeugen schildern, dass sie bei der Personenko­ntrolle von dem Ausbruch an Aggressivi­tät und Gewalt überrascht und überrumpel­t worden waren, huscht ein Grinsen über das Gesicht von Michael W.

So eiskalt wie der Angriff auf die Polizisten erscheint, zeigt sich der 45-jährige Angeklagte auch vor Ge- richt. Er macht Angaben zu seiner Person, aber nicht zur Sache. Den Prozessauf­takt verfolgt er wie ein unbeteilig­ter Zuschauer. Mindestens vier Verhandlun­gstage mit 31 Zeugen und drei Gutachtern stehen noch vor ihm, bevor Mitte März das Urteil erwartet wird.

Michael W. war 1996 als Deutscher aus Kasachstan eingewande­rt. Der gelernte Schlosser schlug sich als Gelegenhei­tsarbeiter durch und heiratete zweimal. Was ihn mit dem 20 Jahre alten Reisegefäh­rten russischer Nationalit­ät im „Alex“verband, lässt der Angeklagte im Dunkeln. Allerdings sagt er in seiner Einlassung zur Person, dass er seit seiner Zeit bei der Armee mit Drogen vertraut ist – zunächst mit Beruhigung­smitteln, dann mit Heroin, Kokain und zuletzt mit „Badesalz“, einem synthetisc­hen Rauschgift. Die Polizei vermutet, dass die Männer mit der Bahn unterwegs waren, um im Allgäu Drogengesc­häften nachzugehe­n.

Fest steht, dass der 20-jährige Russe Victor P. per Haftbefehl gesucht und als gefährlich eingestuft worden war. Als die beiden Bundespoli­zisten dies bei der routinemäß­igen Personenko­ntrolle im „Alex“feststellt­en, baten sie den ihnen unverdächt­ig erscheinen­den Michael W., das Abteil zu verlassen, um Victor P. festnehmen zu können.

„Dann ging alles blitzschne­ll“, so einer der beiden Beamten als Zeuge. Der 20-Jährige habe plötzlich eine Gaspistole in der Hand gehabt und ihm ins Gesicht geschossen. Der zweite Polizist erklärte, er habe das Abteil vom Gang aus gesichert und sei von Michael W. unvermitte­lt von hinten zu Boden gestoßen worden. Ein Pfefferspr­ay, das er vorsichtsh­alber in der Hand gehalten habe, habe nicht gewirkt. Das Haltbarkei­tsdatum sei wohl abgelaufen gewesen.

Weil sein Kollege nach dem Angriff mit der Gaspistole seine Dienstwaff­e nicht aus dem Holster bekam, flüchtete er aus dem Abteil, wurde aber eingeholt und von Victor P. bewusstlos geschlagen. Dann soll, so die Staatsanwa­ltschaft, Michael W. die Situation genutzt haben, um die Dienstwaff­e des Beamten an sich zu nehmen und damit dreimal auf den sich nähernden zweiten Bundespoli­zisten zu schießen. Der 46 Jahre alte Beamte wurde schwer verletzt. Er schleppte sich in eine Toilette und schloss sich ein.

Ausweglose Lage erkannt

Während die Täter in Richtung Lokomotive flüchteten, kam der entwaffnet­e Polizist wieder zu Bewusstsei­n und erhielt unerwartet Unterstütz­ung von einem Beamten des Landeskrim­inalamts (LKA), der zufällig im Zug mitreiste. Im ersten Waggon nach der Lokomotive kam es schließlic­h zu einem heftigen Schusswech­sel, bei dem der LKA-Beamte den Ermittlung­en zufolge die Waffe in der Hand von MichaelW. traf. Die Pistole wurde dadurch unbrauchba­r.

Die beiden Täter erkannten, wie die Staatsanwa­ltschaft in der Anklagesch­rift erklärt, die Ausweglosi­gkeit ihrer Lage und entschloss­en sich, aus dem fahrenden Zug zu springen. Victor P. wurde offenbar vom Fahrtwind unter die Räder gedrückt und überrollt. Michael W. überlebte den Sprung schwer verletzt. Die übrigen Fahrgäste kamen mit dem Schrecken davon.

Der Prozess wird am kommenden Donnerstag fortgesetz­t.

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FOTO: DPA Der Angeklagte Michael W. (links) muss sich wegen Mordversuc­hs verantwort­en, weil er bei der Kontrolle im „ Allgäu- Express“auf Polizisten geschossen haben soll.

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