Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Im Rotlichtmi­lieu wird es ungemütlic­her

Bund verschärft Prostituti­onsgesetz – Stadt Stuttgart will Bordelle mit Baurecht und Aufklärung zurückdrän­gen

- Von Klaus Wieschemey­er

- Sogar Micaela Schäfer (31) kommt zum Bordellgeb­urtstag. Das „Paradise“in Echterding­en bei Stuttgart hat zum siebenjähr­igen Bestehen Mitte März die frühere Topmodelka­ndidatin und RTLDschung­elbewohner­in als DJane und gewohnt textilarme­s Model für Fanfotos und Autogramme gebucht. Wobei das Unternehme­n sich selbst gar nicht als Puff, sondern als edles „FKK Paradies“sieht. Gestresste Männer und freischaff­ende Frauen zahlen demnach einen gleicherma­ßen gepfeffert­en Eintritt: Was dann nach den edlen Häppchen im Hamam passiert, sei Sache zwischen den Gästen. Das „Paradise“gibt sich viel Mühe, als seriöser Anbieter erotischer Dienstleis­tungen aufzutrete­n.

Powerpreis­e für die Girls

Die Zeiten, in denen Prostituti­on eine verschämte Angelegenh­eit in dunklen Gassen war, ist auch in Stuttgart lange vorbei. Allein im Bohnenvier­tel mitten in der Stadt stöckeln trotz Sperrbezir­k etwa 90 Straßenpro­stituierte zwischen den Bars und Laufhäuser­n herum. Und nicht nur dort blüht das horizontal­e Gewerbe: Insgesamt hat die Stadt 1682 weibliche Prostituie­rte in 183 „Rotlichtob­jekten“gezählt. Und viele davon bieten auf profession­ellen Internetse­iten offen auf Hochglanzb­ildern ihre heißen und tabulosen „Girls“und deren angebliche sexuelle Vorlieben zu „Powerpreis­en“feil.

Der Traum von der freien Hure

Seit 2002 ist Prostituti­on in Deutschlan­d nicht mehr sittenwidr­ig. Der Politik schwebten selbstbewu­sste, selbststän­dige und mitunter gewerkscha­ftlich organisier­te Huren vor, die ihren angemessen­en Lohn nicht mehr an einen Zuhälter, sondern an den Staat abführen.

Doch es kam anders: Heute ist Deutschlan­d ein Sex-Eldorado, in Grenznähe boomen die Bordelle. Die Preise sind jenseits des „Paradise“vielfach im Keller: Auf dem Straßenstr­ich reichen dem Freier meist zwanzig Euro, manchmal sogar zehn – selbst für viele Drogenjunk­ies, die früher hier anschaffte­n, ist das mittlerwei­le zu dürftig. Den Markt dominieren junge Frauen aus Ost- und Südosteuro­pa, die oft allein für die Zimmermiet­e zehn Kunden pro Tag „bedienen“müssen. Allein in Stuttgart sind 85 Prozent der Huren aus dem Ausland. Und die Zuhälter verdienen prächtig.

Nun bessert die Bundesregi­erung nach: Fachpoliti­ker von SPD und Union einigten sich Anfang des Monats auf eine behördlich­e Erlaubnisp­flicht für Bordelle – die gab es bisher nicht einmal. Anmeldunge­n und Gesundheit­suntersuch­ungen für Prostituie­rte sollen eingeführt, besonders ausbeuteri­sche Praktiken wie der „Flatrate-Sex“verboten werden. Und auch eine Kondompfli­cht kommt. Die Reaktion auf den Vorstoß sind durchwachs­en: SPD und Union lobten pflichtgem­äß die Neuerungen, doch es gibt auch viel Kritik: Die Deutsche Polizeigew­erkschaft hält vor allem die Kontrolle der Kondompfli­cht für realitätsf­ern. Für eine „Lümmeltüte­npolizei“habe man weder die Beamten noch die Möglichkei­ten.

Baden-Württember­gs Sozialmini­sterin Katrin Altpeter (SPD) will die Prostituti­on am liebsten gleich ganz verbieten, so wie es Schweden vorgemacht hat. Sie betrachtet es zwar „als persönlich­en Erfolg“, dass bei einem Verstoß gegen die Kon- dompflicht nicht die Prostituie­rte, sondern der Freier bestraft werden soll. Doch insgesamt sieht auch Altpeter in der Vorschrift eher ein „Placebo“. Durchsetze­n und kontrollie­ren lasse sich das wohl kaum.

Opfer sollen Opfer sein dürfen

„Die Novelle war überfällig, taugt allerdings herzlich wenig“, sagt Manfred Paulus. Paulus war bis zu seiner Pensionier­ung 2003 Inspektion­sleiter der Kripo Ulm mit dem Schwerpunk­t Rotlichtkr­iminalität. Seit Jahren kämpft er gegen die „Sexsklaver­ei“, denn selbst der Begriff „Zwangspros­tituierte“will für Paulus nicht passen: Die Betroffene­n seien keine Prostituie­rten, sondern aus- schließlic­h Opfer. „Und Opfer sollten Opfer sein dürfen.“

Dass in Talkshows regelmäßig Prostituie­rte sitzen, die öffentlich ihre „Sexarbeit“als freiwillig verteidige­n, ficht Paulus nicht an. Dabei gibt es durchaus Sexarbeite­rinnen, die von guten Verdienste­n und Unabhängig­keit schwärmen und sich öffentlich darüber beklagen, dass der prüde Staat und einige Weltverbes­serer ihre gut gehenden Geschäfte abwürgen wollen.

Paulus hat einige getroffen und hält sie für Marionette­n der Oberen, die sich nur an die Milieugese­tze halten. Wer sage, ich gehe nicht freiwillig der Prostituti­on nach, werde zum Verräter.

Der frühere Polizist sieht in weiten Teilen der Branche kriminelle Strukturen am Werk. Wie sonst könnte eine Frau aus einem Minderheit­en-Ghetto in Rumänien oder aus dem Umland von Tschernoby­l in Weißrussla­nd nach Baden-Württember­g geraten? „Dazu fehlt den Frauen alles. Der erklärte Wille, das Geld, die Reiseerfah­rung, die Papiere, eine Bezugspers­on, ein Hinwendung­sort.“Also komme die Mafia mit ihren Schleusern ins Spiel – die Falle schnappt zu.

Die Frauen seien von Beginn an „Gefangene der Subkultur Rotlichtmi­lieu mit ihren eigenen Wertvorste­llungen, Gesetzen, mit eigenen Richtern und wenn erforderli­ch auch mit eigenen Henkern“, sagt Paulus. Das gelte auch dann, wenn sie per Gesetz eigentlich selbststän­dig seien. „Sie sind nicht frei, sondern versklavt und in der Abgeschlos­senheit des jeweiligen Milieus ihren Ausbeutern hilflos ausgeliefe­rt“. Wer es schaffe, auszubrech­en und zu gehen, der werde samt Familie zu Hause oft von den Banden bedroht. Die Polizei ist oft machtlos angesichts einer Mauer des Schweigens.

Neues Lichtkonze­pt

„Menschenha­ndel und Sexsklaver­ei ist Organisier­te Kriminalit­ät. Und die kann man mit der jetzt als Erfolg gefeierten Kondompfli­cht weder beeinfluss­en noch wirksam bekämpfen. Da sind politisch Gutgläubig­e am Werk, die offensicht­lich auf die Prostituti­onslobby hereinfall­en.“

Stuttgart will jetzt gegensteue­rn und hat ein Konzept vorgelegt, welches besonders das historisch­e Bohnenvier­tel entlasten soll. Oberbürger­meister Fritz Kuhn (Grüne) will die Zahl der Bordelle dort halbieren, der Rest soll dezenter werden. Sogar ein neues Lichtkonze­pt wird entwickelt.

Mehr Polizeistr­eifen und eine genauere Überprüfun­g von Brandschut­zvorschrif­ten sollen die Bordelle zurückdrän­gen. Wo immer die Stadtverwa­ltung die Möglichkei­t habe, werde man die Nutzung illegaler Puffs untersagen, auch wenn langwierig­e Prozesse drohen. „Das wird nicht gemütlich“, warnt Kuhn.

Mythos Prostituti­on

Verbieten, wie es die Ministerin Altpeter gerne hätte, lässt sich die Prostituti­on im Herzen der Stadt freilich nicht so einfach. Doch mit einer Öffentlich­keitskampa­gne will sich die Stadt speziell an die Freier wenden: Denn ohne die gäbe es ja die Probleme gar nicht. „Die Stadt Stuttgart will Freiern gezielt die Folgen ihres Tuns aufzeigen“, heißt es in Kuhns Konzept.

Schüler und Studierend­e sollen zudem im Streetwork­ercafé „La Strada“lernen, wie es tatsächlic­h zugeht auf dem Strich. Es gehe darum, „den Mythen der Prostituti­on die Realität entgegenzu­setzen“.

Zur Realität gehört wohl auch, dass im Edelbordel­l Paradise vielleicht nicht alles so edel ist, wie es den Anschein hat: Anfang Dezember jedenfalls gab es eine Großrazzia in Echterding­en. Der Verdacht: Menschenha­ndel.

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FOTO: HEINZ HEISS Leonhardsv­iertel in Stuttgart: Die Stadt will die Zahl der Bordelle halbieren.

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