Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Kliniken wappnen sich gegen Kriminelle
Krankenhäuser setzen auf anonyme Hinweisgeber, um Straftäter in den eigenen Reihen zu ertappen
(dpa) - Bis zu 30 Patienten hat ein Ex-Pfleger aus Niedersachsen getötet, nun muss er lebenslänglich hinter Gitter. Können Kliniken solche Serienmorde verhindern?
Seit April 2014 ist das interne Melden von Beinahe-Unfällen über das Critical Incident Reporting System (CIRS) für Kliniken in Deutschland gesetzlich vorgeschrieben. Manche Häuser versuchen, zusätzlich Frühwarnsysteme aufzubauen, um Straftaten zu erkennen.
Die Berliner Charité etwa steht heute bei externen Bewertungen der Patientensicherheit sehr gut da. Das war nicht immer so: Eine Krankenschwester hatte 2005 und 2006 fünf schwerstkranken Patienten Medikamente verabreicht, die zum Tod führten. Das Pflegepersonal habe schon früh über Auffälligkeiten berichtet, resümiert Jan-Steffen Jürgensen, der Leiter des klinischen Qualitätsmanagements der Charité. Aber die einzelnen Hinweise seien nicht zu einem Gesamtbild zusammengetragen worden. Mit fatalen Folgen: Bis die Zusammenhänge klar waren, brachte die Schwester drei weitere Patienten um. Die Frau musste wegen Mordes lebenslang in Haft. In der Begründung des Urteils hatten die Richter die Berliner Klinik harsch kritisiert.
Anonyme Hotlines für Mitarbeiter
Heute gibt es an der Charité mehrere Frühwarnsysteme, die Ärzte, Pflegepersonal, Mitarbeiter und Patienten bei Missständen nutzen können – auch ohne ihren Namen zu nennen. Die Anonymität soll verhindern, dass sich Mitarbeiter aus Rücksicht auf Kollegen oder Furcht vor persönlichen Konsequenzen nicht trauen, Zwischenfälle zu melden.
Eine dieser „Hotlines“, das sogenannte Vertrauenstelefon, richteten die Verantwortlichen als Reaktion auf den Skandal von 2007 ein. Die Leitung führt zu einem Rechtsanwalt, der sich das Anliegen von Klinikmitarbeitern anhört. „Dieses An- gebot wird zwei- bis dreimal im Jahr genutzt“, berichtet Jürgensen. Einmal befürchtete ein Pfleger die Misshandlung eines Kindes. Er hatte den Jungen nach einer Operation im Aufwachraum mit einer Wunde am After gesehen. „Wir konnten diesen Vorfall schnell aufklären“, sagt Jürgensen. „Der Junge hatte sich auf einer Holzschaukel einen Splitter in den Po gerammt.“Dennoch sei die Reaktion des Pflegers richtig gewesen – und von der Klinik gewollt.
Auch das CIRS hilft bei der Erkennung von Risiken im Behandlungsverlauf. Alle deutschen Kliniken müssen es nutzen. Ärzte und Pflegepersonal können darin anonym mel- den, wenn Fehler oder Probleme im Klinikalltag auftauchen. Wie viele Meldungen via CIRS bundesweit gesammelt wurden, ist laut Deutscher Krankenhausgesellschaft nicht bekannt. Das System sei nicht in erster Linie dazu gedacht, kriminelle Vorfälle aufzudecken. CIRS solle vor allem helfen, Fehler zu vermeiden und Organisationsprobleme in den Klinikabläufen zu erkennen.
In der Charité laufen rund 400 CIRS-Meldungen pro Jahr ein. Sie werden analysiert und wenn möglich ziehen die Verantwortlichen Konsequenzen, um ähnliche Zwischenfälle zu verhindern. So spritzte ein Arzt einem Patienten mit Magensonde beinahe ein Medikament in einen Venenkatheter, statt ihm die Flüssigkeit über die Sonde zu verabreichen. Das hätte lebensgefährlich werden können. Seitdem haben Spritzen für die Magensonden in der Charité eine andere Farbe und passen nicht mehr auf Katheter.
Vorwürfe zu äußern, ist schwierig
Auch am Klinikum Oldenburg, wo der am Donnerstag verurteilte Pfleger arbeitete, ist vieles umgekrempelt worden. „Wir arbeiten derzeit an einem Whistleblowing-System, das ab April an den Start soll“, sagt der Oldenburger Klinik-Geschäftsführer Dirk Tenzer. „Damit wollen wir die Hemmschwelle weiter senken, Missstände anonym zu melden.“Ein unabhängiger Klinikbeauftragter soll den Vorwürfen nachgehen – auch im anonymen Austausch mit Hinweisgebern. Auch Patienten können sich an den Beauftragten wenden und Missstände melden.
Die Charité in Berlin vergleicht außerdem Sterberaten und Komplikationen mit den Zahlen anderer Häuser, um Abweichungen auf die Spur zu kommen. Das hätte evnentuell auch im aktuellen Fall geholfen: Während der verurteilter Pfleger auf der Intensivstation in Delmenhorst arbeitete, verdoppelt sich die Todesrate beinahe.
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