Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Intellektueller Unruhestifter
Literaturkritiker Fritz J. Raddatz ist tot
(dpa) - Heute erscheint sein neues Buch: „Jahre mit Ledig“. Gestern kam die Nachricht: Fritz J. Raddatz ist tot. Er starb mit 83 Jahren in der Schweiz. Dass er den Zeitpunkt seines Todes selber bestimmen wolle, darüber hat er erst jüngst in einem Interview offen gesprochen.
Über Jahrzehnte hat Fritz J. Raddatz das literarische Leben in Deutschland beobachtet und es mit spitzer Feder kommentiert. Vor allem in den Jahren als Feuilletonchef der Wochenzeitung „Die Zeit“von 1977 bis 1985 und danach als Kulturkorrespondent in Paris. Im vergangenen Jahr hatte er seinen Abschied vom Journalismus erklärt. „Ich habe mich überlebt“, schrieb er in einem Artikel für „Die Welt“.
Raddatz, 1931 in Berlin geboren, wuchs ohne Mutter auf. Seine Kindheit war überschattet von der brutalen Erziehung durch den Vater, einem preußischen Offizier. Nach der Schule studierte er Germanistik, Geschichte und Theaterwissenschaften an der Humboldt-Universität in Ostberlin. Auf die Promotion 1954 folgte ein Cheflektorat im Ost-Berliner Verlag „Volk und Welt“. Später siedelte er in den Westen über, war stellvertretender Leiter des RowohltVerlags und schließlich „Zeit“-Ressortleiter in Hamburg. 1985 endete diese Karriere abrupt. Er hatte in einem Text ein falsches Goethe- Zitat verwendet („Man begann damals das Gebiet hinter dem Bahnhof zu verändern“). Die Branche goss Hohn und Spott über den Mann aus, der mit seiner intellektuellen Arroganz selbst so oft angeeckt war. Die Entlassung erlebte er als „beruflichen Herzinfarkt“, „hinausgeworfen wie ein Hund“.
Viele Fans, viele Feinde
Raddatz veröffentlichte mehr als 25 Bücher – Porträts, Biografien, literarische Reiseführer. Die Romantrilogie „Kuhauge“(1984), „Der Wolkentrinker“(1987) und „Abtreibung“(1991) war international erfolgreich.
Mit seiner eitlen und mitunter gnadenlosen Art hat sich der „Unruhestifter“, so der Titel seiner Autobiografie, auch viele Feinde gemacht. Der Schriftsteller Botho Strauß ist bei ihm eine „eisenharte Mimose“und ein überschätztes „Sensibelchen“, Altkanzler Helmut Schmidt pflege „grässliches Oberlehrergequatsche“und Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld sei ein „Kotzbrocken“.
An diesem Freitag sollte sein letztes Buch erscheinen. In „Jahre mit Ledig“beschreibt er seine Zeit als Stellvertreter des legendären Verlegers Heinrich Maria Ledig-Rowohlt (1908-1992). „Dieses Buch ist ein Denkmal aus Worten“, heißt es in der Ankündigung des Verlags. Das Buch beschreibe, „wie das deutsche Verlagswesen nach dem Krieg neu begann und wie im Rowohlt-Verlag, Reinbek, zwei Männer in gemeinsamer Begeisterung für die Literatur einen internationalen Verlag schufen, wie er nicht seinesgleichen hatte“.