Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Gegen den Strom
„Unser Auschwitz“– Walsers Texte über deutsche Schuld
- 1998 hat Martin Walser den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekommen und in der Frankfurter Paulskirche eine Rede gehalten. In der warnte er davor, Auschwitz zur „Drohroutine“verkommen zu lassen und nannte das Holocaust-Mahnmal einen „fußballfeldgroßen Alptraum“. Seither steht der Schriftsteller unter AntisemitismusVerdacht. Das hat er nie akzeptiert, was ihn aber nicht daran hinderte, im Jahr 2002 mit seinem Roman „Tod eines Kritikers“seinen Gegnern neue Munition zu liefern.
Die Schlachten sind geschlagen, die sogenannte Walser-Bubis-Debatte ist in einem extra Band dokumentiert. Walser hat öffentlich bedauert, die Hand, die ihm Ignatz Bubis gereicht hat, nicht ergriffen zu haben. Auch sein Urteil über das HolocaustMahnmal hat er längst revidiert. Und als Frank Schirrmacher, der als Herausgeber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, einst den Vorabdruck der Satire „Tod eines Kritikers“abgelehnt hatte, im vergangenen Jahr starb, war Martin Walser unter denen, die ihm in der „FAZ“nachrufen durften.
Diskussion beendet? Offenbar nicht. Mit dem Vorwurf, ein KryptoAntisemit zu sein, wird Walser weiterhin konfrontiert. Auch sein jüngstes Buch über den jiddischen Dichter Sholem Yankev Abramovitsh konnte daran nichts ändern. Manche von Walsers Kritikern bezeichneten dieses flammende Bekenntnis zur jüdi- schen Kultur als „Umkehr“und „Ende der Verblendung“. Walser reagiert dünnhäutig auf solche Äußerungen, denn sie unterstellen, dass er davor tatsächlich antijüdische Ressentiments verbreitet habe. Walser ist es ein Anliegen, da etwas zurechtzurücken. Ob jüngst bei der Lesung bei „Schwäbisch Media“in Ravensburg oder zuvor im Gespräch: „Ich habe ein lebenslängliches Kontinuum an Beschäftigung mit jüdischer Geistigkeit“, sagt er und verweist auf all das, was er in den vergangenen sechs Jahrzehnten über Juden und den von Deutschen organisierten Massenmord an ihnen geschrieben hat.
Lebenslange Auseinandersetzung
Nun sind diese Texte Walsers über die „Auseinandersetzung mit der deutschen Schuld“in einem 400-seitigen Band versammelt. Zusammengestellt hat sie der Wuppertaler Literaturprofessor Andreas Meier. Er liefert die Belege für Walsers Diktum, man möge endlich wahrnehmen, dass er sich ein Leben lang mit dem Thema Judentum der deutschen Schuld auseinandergesetzt hat. Der Germanist hat Texte aus sechs Jahrzehnten ausgewählt. Sie reichen von „Ehen in Philippsburg“von 1957 bis zum aktuellen „Shmekendike blumen“, enthalten die Schlüsseltexte „Unser Auschwitz“(1965), „Auschwitz und kein Ende“(1979), die „Erfahrungen beim Verfassen einer Sonntagsrede“(Paulskirchenrede, 1998) und das Gespräch zwischen Ignatz Bubis, Salomon Korn, Frank Schirrmacher und Martin Walser.
Im Nachwort erklärt Meier, warum er diesen Band für nötig hält: „Angesichts der mittlerweile geschlagenen Schlachten ist es keineswegs Absicht der vorliegenden Anthologie, diese im philologischen Sandkasten nochmals nachzustellen. Vielmehr geht es darum, den zum Teil absurden und von hartnäckiger Lektüreabstinenz zeugenden Vorwürfen das Werk Walsers zumindest in repräsentativen Auszügen entgegenzuhalten. Sein Beharren auf einem Primären, einem sich in der Sprache als identisch empfindenden Denken, das einer gesicherten Moralität und einem belastbaren Gewissen Grundlage gewähren kann, wurde zum die Auswahl leitenden Prinzip.“
Selbstverständlich gehört der Artikel „Unser Auschwitz“dazu. Martin Walser hat ihn 1965 in der „Frankfurter Abendpost“veröffentlicht. Das ist keine klassische Gerichtsreportage, wie man sie in einer Boulevardzeitung wie der „Abendpost“erwarten könnte. Vielmehr fragt Walser, ob die Justiz das adäquate Instrument ist, um mit der Schuld der Deutschen umzugehen. Er befürchtet, dass die Verurteilung der wenigen zur Entlastung des Gewissens vieler beiträgt. „Wir isolieren die Brutalitäten, die Ursachen langweilen uns. Die gesicherte Distanz zu den ,Teufeln’ und ,Bestien’ erlaubt uns, die gleißenden Zitate als Futter für unser eigenes, geheim gehaltenes Asoziales zu konsumieren. Das können wir uns um so leichter gestatten, als wir ja den Opfern unser ganzes kraftloses Bedauern entgegenbringen. Und die Justiz wird den gesellschaftlichen Auftrag schon erfüllen und die Sache rechtsgemäß erledigen.“
Unzeitgemäßes Rollenverhalten
Also schon damals nicht „mainstream“, kein Einstimmen in den Betroffenheitskanon, sondern ein anderer Ton. Es ist kein falscher. Der Herausgeber macht in seinem Nachwort, das ihm zu einer Einführung in die Grundlagen der Walserschen Poetik gerät, auf einen Aspekt aufmerksam: Walsers Romanfiguren sind oft durch ihr „unzeitgemäßes Rollenverhalten“charakterisiert – von Alois Grübel in „Eiche und Angora“(1961) bis zu Studienrat Hülsenbeck in „Kaschmir in Parching“(1994). Sie schwimmen nicht mit dem Strom. Ihr Schöpfer auch nicht.