Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Aus Mitleid“Drogen auf Rezept

Weingarten­er Arzt steht wegen Verstößen gegen Betäubungs­mittelgese­tz vor Gericht

- Von Berthold Rueß

- Wegen Verstößen gegen das Betäubungs­mittelgese­tz und wegen Nötigung muss sich seit Montag ein 60-jähriger Arzt aus Weingarten vor dem Landgerich­t Ravensburg verantwort­en. Im Kernpunkt geht es um Fragen: Welche Pflichten hat ein Arzt gegenüber suchtkrank­en Patienten, und wo liegt die Grenze zur strafbaren Handlung?

Die Staatsanwa­ltschaft wirft dem Mediziner vor, zwischen 2004 und 2009 in seiner Weingarten­er Praxis Rezepte über Drogenersa­tzstoffe ausgestell­t zu haben, ohne dass die gesetzlich vorgeschri­ebene Voraussetz­ungen vorgelegen haben. Weder verfüge der Arzt über die erforderli­che suchtmediz­inische Qualifikat­ion, noch habe die medizinisc­he Indikation für die Verschreib­ungen vorgelegen, die zum Teil auf falsche Namen ausgestell­t worden sein. In 50 Fällen sollen so illegal Medikament­e aus der Liste der Betäubungs­mittel verschrieb­en worden sein, die laut Staatsanwä­ltin Tanja Kraemer auch in der Drogenszen­e begehrt seien: das in der Drogenther­apie gebräuchli­che Buprenorph­in (Subutex), das Schlafmitt­el Flunitraze­pam (Rohypnol), das Hustenmitt­el Dihydrocod­ein (Paracodein) und das Beruhigung­smittel Methylphen­idat (Ritalin).

Außerdem führt die Anklagesch­rift auch Fälle von Nötigung an: Der Arzt habe zwei opiatabhän­gige Frauen zum Diebstahl angestifte­t und das Diebesgut, Parfüm und Markenklei­dung, als Gegenleist­ung für die Verschreib­ung von Betäubungs­mitteln verlangt. Diesen Vorwurf wies Verteidige­r Johannes Dudik als „völlig abwegig“zurück. Sein Mandant, der mit seiner Praxis ein jährliches Nettoeinko­mmen von 100 000 bis 120 000 Euro erzielt habe, hätte sich ein Parfüm für 20 Euro leicht selbst besorgen können. Bei diesem Vorwurf handle es sich vermutlich eher um die Rache von Patienten, deren Ersuchen um Betäubungs­mittel abgelehnt worden sei.

„Durchläufe­r“in der Praxis

Die Verschreib­ung von Medikament­en aus der Betäubungs­mittellist­e räumt der Angeklagte ein. Er habe schlichtwe­g nicht gewusst, dass verschreib­ende Ärzte dafür eine Zusatzqual­ifikation benötigen. Diesen Sachverhal­t habe er erst aus einem Telefonat mit der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g erfahren. Verwundert zeigte sich Richter Jürgen Hutterer, dass dem Arzt nicht klar gewesen sei, welcher Klientel er da Betäubungs­mittel ver- ordne. Die Namen dieser Patienten seien zum Teil auch dem Gericht schon einschlägi­g bekannt. Auch deren Angehörige sind in der Praxis vorstellig geworden – „Durchläufe­r“, wie sie Hutterer nannte, die das verordnete Medikament dann weitergege­ben haben. „Mitleid“nannte der Angeklagte als Motiv dafür, Privatreze­pte für Kassenpati­enten ausgestell­t zu haben, an denen er nicht einmal die Rezeptgebü­hr verdiente.

„Normalerwe­ise müssen doch die Alarmglock­en läuten, wenn es zu einem Ärztehoppi­ng kommt – gerade bei Medikament­en, die abhängig machen können“, warf Hutterer dem Arzt vor. Zudem seien dies auch Medikament­e, die in einer normalen Praxis nicht allzu häufig verschrieb­en werden – in einer auffallend hohen Gesamtdosi­s. Für Verteidige­r Johannes Dudik liegt die Dosis im Einzelfall im „therapeuti­schen Bereich“. Die fehlende Zusatzqual­ifikation hätte sein Mandant mit einem Kurs leicht erwerben können. Allenfalls sei ihm vorzuwerfe­n, die Patienten nicht immer ausreichen­d beraten zu haben: „Ist hier die Grenze zur Strafbarke­it überschrit­ten?“

Eine Antwort darauf erhofft sich das Gericht von einem medizinisc­hen Sachverstä­ndigen. Die Verhandlun­g wird halbtagesw­eise fortgesetz­t, weil der Angeklagte wegen einer schweren und unheilbare­n Erkrankung nur eingeschrä­nkt verhandlun­gsfähig ist. Seine Lebenserwa­rtung liege bei „über einem bis zwei Jahren“, so der Stuttgarte­r Onkologe Gerald Illerhaus.

Die Verschreib­ung von Medikament­en aus der Betäubungs­mittellist­e

räumt der Angeklagte ein.

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FOTO: SABINE ZIEGLER Noch sieht es ziemlich wild aus: Architekti­n Margit Sigg und Technische­r Leiter Daniel Tietz ( rechts) mit einem Handwerker vor dem ausgehöhlt­en Empfang im Krankenhau­s-Foyer.

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