Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Der gefallene „Prince of Tatarstan“
Die Kripo forciert ihre Ermittlungen um den erschossenen Kickboxer aus Neu-Ulm – Spur führt ins Rauschgiftmilieu
- „Heinrich von Mirbach“steht auf dem Grabstein. Im Grab aber liegt keineswegs ein verstorbenes Mitglied der rheinischen Adelsfamilie von Mirbach. Vielmehr ist auf dem Neu-Ulmer Friedhof ein 37Jähriger bestattet, erschossen am 18. November im Stadtteil Ludwigsfeld. Sein wirklicher Name: Musa Musalaew. Er nannte sich auch Michael Grigorjew. Und Musalo Katimowic. Bezeichnete sich als „Prince of Tatarstan“. Wieso er als „von Mirbach“beerdigt wurde, ist genauso unklar, wie vieles andere an dem Fall. Die Polizei will bis heute nicht einmal über die Identität des Opfers sprechen.
Angeblich sei er ein kasachischer Kickboxer und Weltmeister in dieser Sportart gewesen, heißt es. Die Ermittler geben sich verschlossen. Nur so viel: Die Tatwaffe wurde gefunden, der Täter ist auf der Flucht. Und: „Die Hinweise verdichten sich, dass der Getötete Bezüge ins Rauschgiftmilieu gehabt haben könnte.“
Die Spuren führen die Neu-Ulmer Ermittlungsgruppe „Schüsse“ins undurchsichtige Milieu der in Russland sehr populären Sportart Kickboxen. Aus russischen Sportzeitungen lässt sich die Biografie Musa Musalaews in groben Zügen nachvollziehen: 1979 im jetzigen Kasachstan geboren, sei er seit seiner Jugend in Kampfsportarten wie „Kampf ohne Regeln“oder Thai-Boxen aktiv gewesen. Im Alter von 30 Jahren sei er nach Thailand gereist und habe dort seinen ersten WM-Titel im Thai-Boxen erobert. Ein Jahr später habe er ins Kickboxing gewechselt und seinen ersten WM-Titel gegen den mehrmaligen Weltmeister Gazmat Islamagomedow gewonnen, schreibt die täglich erscheinende „Sport-Express“. Einige weitere Stationen: angeblich Weltmeister in Kickboxing für im Westen völlig unbekannte Verbände wie die „World Budo and Kobudo Federation“(WBKF), Weltmeister „King of Kings“. Anschließend sind Kämpfe Musalaews in der Disziplin „Mixed Martial Arts“belegt, einer relativ modernen Art des Vollkontaktwettkampfes. Während der Zeit als Profi-Kämpfer war Musalaew Kapitän eines „PrinceTeams“. Vielleicht rührt sein Kampfname „Prince of Tatarstan“aus dieser Zeit.
Ungeheure Wucht
Musalaew war insbesondere in Russland eine Berühmtheit, er konnte Gegner in der ersten Runde in Sekundenschnelle bewusstlos schlagen. Kampfvideos zeugen von seiner ungeheuren Wucht. Gerne zeigte Musalaew seinen Nachbarn in NeuUlm Pokale und Urkunden: Er hatte sie im Keller gelagert.
Doch die Journalisten des „SportExpress“nennen auch die Schattenseiten: „Ende der 90er Jahre hatte er einen zwiespältigen Ruf in Moskau.“Damals schon sei er als Michael Grigorjew oder Musalo Katimowic aufgetreten und habe versucht, als Manager in Kampfsportarten Fuß zu fassen, sogar als Politiker habe er sich ausgegeben. Warum Musalaew 2013 seine Karriere abbrach und nach Deutschland kam? Womit er seinen Lebensunterhalt bestritt? Unklar. Klar ist nur, dass der 37-Jährige zuletzt in einer Wohnung in einem Hochhaus in Neu-Ulm mit einer Frau und drei Kindern gelebt hat und am 18. November gegen 18 Uhr vor diesem Haus erschossen wurde.
Seither gehen die Ermittler insgesamt 180 sogenannten Spurenkomplexen nach: Die Tatwaffe sei einer davon, Spuren am Tatort, rund 60 Telefonhinweise und die Befragungen von Anwohnern weitere. „Die Ermittlungen gestalten sich als sehr arbeitsintensiv. Wir sind jedoch zuversichtlich, da uns durchaus vielversprechende Spuren und Hinweise, die zur Klärung der Tat beitragen können, vorliegen“, erklärt Kriminalrat Jürgen Schweizer, Leiter der Kriminalpolizei Neu-Ulm. Die für den Ludwigsfelder Mord eingerichtete Ermittlungsgruppe „Schüsse“sei inzwischen ein weiteres Mal personell aufgestockt worden. Waren es anfangs noch 20, sind mittlerweile 34 Beamte aus unterschiedlichen Abteilungen und Städten mit der Suche nach dem Neu-Ulmer Mörder beschäftigt.
Die bislang heißeste Spur ist die Tatwaffe, eine Handfeuerwaffe, die bereits „zeitnah“nach der Tat aufgefunden worden sei, erklärt Polizeisprecher Krautwald. Die Pistole wurde im bayerischen Landeskriminalamt spurentechnisch untersucht. „Aber uns fehlt das Gegenüber zu diesen Spuren.“
Heißt: Sollte es DNA-Material an der Waffe gegeben haben, so ist die dazu passende Person bisher der Polizei nicht aufgefallen.