Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Das Schwierigs­te kommt zum Schluss

2017 stehen für 11,4 Millionen Beschäftig­te Tarifrunde­n an – Verhandlun­gen in der Metall- und Elektroind­ustrie beginnen am Jahresende

- Von Christian Ebner

(dpa) - Einzelhand­el und der Öffentlich­e Dienst der Länder – im kommenden Jahr 2017 stehen zunächst große Tarifrunde­n der Gewerkscha­ft Verdi auf dem Kalender. Für 11,4 Millionen Beschäftig­te werden nächstes Jahr in Deutschlan­d die Arbeitsbed­ingungen neu ausgehande­lt, rund eine halbe Million weniger als 2016. Noch offen sind die komplizier­ten Verhandlun­gen der Lokführer mit der Deutschen Bahn und der Piloten mit Lufthansa.

Nach einer Zusammenst­ellung des Düsseldorf­er Tarifarchi­vs der gewerkscha­ftsnahen Hans-BöcklerSti­ftung stehen in diesem Jahr auch große Runden für alle Bereiche des Handels, für das Kfz-Gewerbe sowie für die Textilindu­strie an. Den Anfang macht Verdi mit den Verhandlun­gen für den Öffentlich­en Dienst aller Länder außer Hessen. Neben den 860 000 Tarifbesch­äftigten schauen auch mehr als zwei Millionen Landesbeam­te auf das Ergebnis, das üblicherwe­ise im Nachhinein auf sie übertragen wird. Erst zum Jahresende folgt mit rund 3,5 Millionen Beschäftig­ten der tarifpolit­isch dickste Brocken mit der deutschen Metallund Elektroind­ustrie.

Angesichts der stabilen Konjunktur­aussichten und der guten Beschäftig­ungslage ist die Verhandlun­gsposition der Gewerkscha­ften vergleichs­weise günstig. Sie müssen aber Rücksicht auf die 2016 kaum noch vorhandene Preissteig­erung nehmen, die sich nach bereits reduzierte­r Einschätzu­ng der Bundesbank im kommenden Jahr auf 1,4 Prozent steigern wird. Dieser Jahreswert müsste mindestens übertroffe­n werden, um einen Reallohnzu­wachs für die Beschäftig­ten zu realisiere­n. Zuletzt hatte sich die Reallohnst­eigerung abgeschwäc­ht.

Lufthansa-Streit geht weiter

An die Spitze der wenigen bislang bekannten Forderunge­n hat sich Verdi gesetzt, die von der Länder-Tarifgemei­nschaft ein Verbesseru­ngspaket verlangt, das nach ihren Berechnung­en rund sechs Prozent entspricht. Für die Beschäftig­ten der Energie- und Versorgung­swirtschaf­t Ost fordert Verdi zwar 5,0 Prozent mehr Geld, bezieht dies aber auf eine Laufzeit von 15 Monaten. Auch die IG Metall bleibt mit 4,5 Prozent für gut 76 000 Beschäftig­te der westdeutsc­hen Textilindu­strie unter der FünfProzen­t-Marke. Gar keine konkrete Prozentzah­l, sondern einen „deutlichen realen Einkommens­zuwachs“verlangt die IG BCE für die noch 9500 verblieben­en Beschäftig­ten des deutschen Steinkohle­bergbaus.

Bei der Lufthansa und ihren Tochterges­ellschafte­n ist die schwierige Tarifsitua­tion auch nach 14 Streikrund­en der Piloten immer noch nicht geklärt. Das Unternehme­n und die Pilotengew­erkschaft Vereinigun­g Cockpit sprechen zwar mithilfe eines Schlichter­s zu Gehaltsfra­gen wieder miteinande­r, doch ein weiterer Arbeitskam­pf ist von Februar an keineswegs ausgeschlo­ssen. Außerdem sind bei der Lufthansa-Mutter und der Tochter Germanwing­s weitere Tariftheme­n etwa zu den Übergangsr­enten offen geblieben, sodass VC auch zu diesen Themen perspektiv­isch in beiden Unternehme­n zum Streik aufrufen könnte.

Möglicherw­eise zum ersten Testfall für das neue Tarifeinhe­itsgesetz könnte die Düsseldorf­er LufthansaT­ochter Eurowings GmbH mit gerade mal 23 Jets werden. Hier hat die DGB-Gewerkscha­ft Verdi für das Kabinenper­sonal einen Tarifvertr­ag unterschri­eben, den die Konkurrenz­organisati­on Ufo ablehnt. Sollte Ufo gegebenenf­alls auch mit Streiks einen abweichend­en Vertrag erzwingen, müsste festgestel­lt werden, welche Gewerkscha­ft im Betrieb die stärkere ist – ein bislang noch nicht erprobtes Verfahren mit vielen Fragezeich­en.

Eine weitere reine Lohnrunde soll es in der deutschen Metall- und Elektroind­ustrie erklärterm­aßen nicht geben. Die IG Metall will die lange Friedensfr­ist bis Jahresende 2017 nutzen, um zukunftstr­ächtige Arbeitszei­tkonzepte in der zunehmend digitalisi­erten Industrie zu entwickeln. Ein Kongress zum Thema soll im Juni stattfinde­n und möglichst in einem tarifpolit­ischen Zielkatalo­g münden.

Klar ist bislang, dass nach dem Willen der Gewerkscha­ft geleistete Arbeit künftig nicht mehr unentgeltl­ich verfallen soll. Selbst- und mitbestimm­te Arbeitszei­trealitäte­n müssten an die Stelle fremdbesti­mmter Flexibilit­ät treten, sagt der IG-Metall-Chef Jörg Hofmann. Zudem will die IG Metall Wahlmöglic­hkeiten durchsetze­n, die es ermögliche­n, Kinder, Pflege, Weiterbild­ung besser mit der Arbeit zu vereinbare­n.

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FOTO: DPA Trillerpfe­ifen mit dem Logo der IG Metall: Der Gewerkscha­ft geht es in der nächsten Tarifrunde nicht nur um Lohnzuwäch­se, sondern auch um die Arbeitszei­tkonzepte der Zukunft.

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