Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Man funktioniert einfach“
Würzburg, Ansbach, Amoklauf von München: Die aus Leutkirch stammende ZDF-Reporterin Conny Hermann blickt auf ein dramatisches Jahr zurück
(sz) - Conny Hermann ist Leutkirchs Gesicht im Fernsehen. Die heute 58-Jährige moderierte lange Zeit die ZDF-Sendung „Mona Lisa“und ist seit neun Jahren Redakteurin im ZDF-Landesstudio Bayern. Zum Jahresende blickt sie auf ein dramatisches Jahr zurück, das mit einer Terrorwarnung in München an Silvester begann und mit dem Münchner Amoklauf einen traurigen Höhepunkt fand. Raphael Rauch sprach mit der gebürtigen Leutkircherin.
Frau Hermann, warum sieht man Sie gar nicht mehr in Leutkirch?
Vor zwei Jahren ist meine Mutter gestorben. Sie war unser Anlaufpunkt. Meine Geschwister wohnen in Biberach und im Schwarzwald. Zum Todestag unserer Mutter kommen wir immer nach Leutkirch. Und ich habe hier noch eine sehr gute Freundin. Sonst habe ich nicht mehr so viele Bezugspunkte. Aber Leutkirch ist meine Heimat, hier liegen meine Wurzeln.
Für alle, die Sie nur aus dem Fernsehen kennen: Wo sind Sie eigentlich aufgewachsen?
Erst in der Memmingerstraße. Als ich drei Jahre alt war, sind wir dann in die Nibelsiedlung gezogen. Da gab’s so ne richtige „Neubau-Idylle“: viele Kinder zum Spielen, eine supertolle Zeit. Wir waren nur draußen. Das hat mich tief geprägt: Ich habe eine große Liebe zur Natur entwickelt.
Claus Kleber sorgte neulich mit einer Anmoderation auf Schwäbisch für Furore. Kennet Sie au schwätze?
Ha klar! Ich spreche immer noch gerne Schwäbisch. Ich finde Dialekt was ganz Wunderbares. Man kann Vieles schöner ausdrücken als auf Hochdeutsch, das hat dann viel mehr Seele. Hochdeutsch musste ich später erst richtig lernen. Da half auch mein Vater nicht weiter. Der kam ja nach dem Krieg aus Duisburg nach Leutkirch und wurde Bademeister. Er kannte Hinz und Kunz, hat die DLRG gemanagt. Aber wenn er versucht hat, Schwäbisch zu schwätzen, haben wir ihn ausgelacht.
Was hat Leutkirch, was München nicht hat – außer der Landschaft?
Die Seelen in Leutkirch schmecken anders, natürlich viel besser. Meine Mutter hat immer welche für mich gekauft, wenn ich zu Besuch kam.
Wie sieht Ihre Jahresbilanz 2016 aus?
Wenn ich an Leutkirch und das Jahr 2016 denke, werde ich sehr traurig, weil Bernd Dassel gestorben ist. Er war nicht nur ein Freund, sondern ist die Person, die mich zum Journalismus gebracht hat.
Und beruflich?
So eine Massierung an dramatischen Ereignissen wie im Jahr 2016 habe ich in meinem Berufsleben noch nicht erlebt. Das Jahr hat für mich schon turbulent angefangen. In der Silvesternacht hatte ich Bereitschaft. In München gab es plötzlich eine Terrorwarnung. Der öffentliche Nahverkehr wurde eingestellt. Ich habe mit dem Kamerateam vor dem Münchner Hauptbahnhof gedreht. Das war schon ein mulmiges Gefühl, zumal ich mich mit Gedanken erwischt habe, die mir eigentlich fremd sind. Ich habe mir junge, ausländisch aussehende Männer genauer angeschaut und mich gefragt, ob die jetzt Terroristen sein könnten.
Wie können Sie sich auf Ihre Rolle als Reporterin konzentrieren, wenn Sie damit vielleicht in die Falle von Terroristen tappen? Am Bahnhof hätte ja die Bombe hochgehen können?
Für solche Gedanken hat man in dem Moment gar keine Zeit. Man funktioniert einfach. Ich habe versucht, so vorsichtig wie möglich zu sein.
Es folgte dann im Sommer die AxtAttacke in einem Regionalzug bei Würzburg und das Selbstmordattentat in Ansbach. Für beide Orte ist das ZDF-Landesstudio in München zuständig.
Ich hatte beim Anschlag von Würzburg Nachtbereitschaft. An dem Abend des Attentats in Ansbach habe ich als Planerin bis nachts um 4 Uhr den aktuellen Einsatz und den Einsatz für den kommenden Tag vorbereitet, dann drei Stunden geschlafen und war dann wieder im Studio. Vor dem Hintergrund des Lkw-Anschlags auf den Berliner Weihnachtsmarkt können wir sagen, dass Würzburg und Ansbach verhältnismäßig glimpflich abgelaufen sind.
Dann kam der Münchner Amoklauf, von dem viele anfangs dachten, es sei eine Terror-Serie.
An dem Freitagabend hatte ich eigentlich frei. Ich bin sofort ins Studio gefahren. Dort hieß es: Sofort zum Stachus ausrücken, da soll es eine Schießerei geben. Als ich mit dem Kameramann losfuhr, kam die Entwarnung für den Stachus, wir wurden telefonisch umgeleitet zum Olympia-Einkaufszentrum. Die Stimmung in der Stadt war gespenstisch. Die Nervosität war mit Händen zu greifen. Der Pressesprecher der Polizei musste im Laufe des Abends die Zahl der Toten ständig erhöhen. Furchtbar.
Haben Sie den Eindruck: Das Jahr 2016 ist aus den Fugen geraten?
Nein. Zwar hat Deutschland zum ersten Mal islamistische Anschläge erlebt. Aber die Welt ist schon länger aus den Fugen geraten.
Hat Sie das Terror-Jahr verändert?
Solche Ereignisse treffen uns in Mark, nehmen uns unsere Unbefangenheit und Leichtigkeit. Ich gehe schon aufmerksamer, manchmal vorsichtiger durch die Welt.
Während der Flüchtlingskrise galt München als Hauptstadt der Willkommenskultur. Ist die Stimmung gekippt?
Soweit ich es beobachten kann, ist das nur vereinzelt der Fall. Die AfD spielt in Bayern nur eine relativ kleine Rolle. Mit Sicherheit hat sich die Stimmung verändert. Die Ereignisse sind nicht spurlos an den Menschen vorbeigegangen. Trotzdem gehen die Münchner besonnen mit den Flüchtlingen um. Schließlich sind fast alle Flüchtlinge friedlich und selbst vor Terroristen geflohen.