Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Kinder sind um ihrer selbst willen da“
Theologe Eberhard Schockenhoff kritisiert die Reproduktionsmedizin und hält Leihmutterschaft für unannehmbar
- Der Moraltheologe und Priester Eberhard Schockenhoff sieht die Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin kritisch. Deshalb rät er ungewollt kinderlosen Paaren zu prüfen, ob sie das „Schicksal der Kinderlosigkeit“akzeptieren und dennoch „ein sinnvolles Leben“führen können. Es gehe nicht darum, dass Kinder „mit ihrer Existenz einen Erwachsenen bereichern“, sagte er im Gespräch mit Claudia Kling.
Herr Schockenhoff, die christlichen Kirchen widmen sich in der „Woche für das Leben“dem Thema unerfüllter Kinderwunsch und der Reproduktionsmedizin. Ist diese aus christlicher Perspektive nicht generell ein Problem?
Eltern sollten ein Kind grundsätzlich als die Frucht ihrer Liebe betrachten und nicht als ein Produkt, das mithilfe medizinischer Technik hergestellt werden kann. Natürlich kann man nicht in Abrede stellen, dass Eltern, die mittels Reproduktionsmedizin ein Kind bekommen haben, es dennoch als Geschenk annehmen und die Künstlichkeit des Verfahrens durch ihre Liebe überformen. Man kann aber auch die Gegenfrage stellen: Ob es nicht möglich ist, das Schicksal der Kinderlosigkeit zu akzeptieren und auf dieser Basis dennoch ein sinnvolles Leben zu führen.
Auch in Deutschland lassen Paare Kinder von Leihmüttern austragen, obwohl dies gesetzlich verboten ist. Welche Risiken sehen Sie darin?
Die Leihmutterschaft ist mit mehreren ethischen Problemen verbunden. Das erste ist, dass durch die Leihmutterschaft die Beziehung, die ein Kind zu seinen Eltern haben sollte, aufgeteilt wird in eine multiple Elternschaft. Ein Kind hat dann einen biologischen Vater, den Samenspender, eine biologische Mutter, die Eispenderin, die sozialen Eltern, bei denen es aufwächst – und schließlich noch die Leihmutter. Das ist für die Identitätsentwicklung des Kindes eine erhebliche Belastung, die zu großen Konflikten führen kann.
Für viele Frauen, vor allem in armen Ländern, ist Leihmutterschaft auch ein Erwerbsmodell.
Ja, aber das ist absolut unannehmbar. In Indien beispielsweise werden Frauen neun Monate lang ihren Familien entrissen, sie werden in Geburtskliniken quasi kaserniert, ihre Lebensführung strikt überwacht. Dass Frauen dies freiwillig auf sich nehmen, ist zu bezweifeln, wenn man weiß, unter welchem Druck sie stehen. Eine indische Frau verdient als Leihmutter mehr als das, was ihr Mann im ganzen Jahr verdient. Aber genau deshalb ist dieser Kinderwunsch-Tourismus in Anbetracht der damit verbundenen sozialen Probleme unannehmbar. Zudem: Dass man Schwangerschaft wie einen Dienst, eine Ware erbringt, ist einfach etwas Unnatürliches.
Die Sehnsucht nach einem Kind wird gleichermaßen von kinderlosen heterosexuellen wie homosexuellen Paaren geäußert. Unterscheiden Sie in der ethischen Beurteilung dessen, was erlaubt sein sollte, zwischen den beiden Gruppen?
Eine Antwort auf diese Frage ergibt sich aus der Perspektive des Kindes. Kinder haben – unabhängig davon, ob sie in einer heterosexuellen oder in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft aufwachsen – einen Eigenwert. Sie sind um ihrer selbst willen da, es geht nicht darum, dass sie mit ihrer Existenz einen Erwachsenen bereichern. Wenn man von ihrem Wohl her denkt, erschließt sich auch, warum ein Kind ein Recht darauf hat, die Verschiedenheit von Frau und Mann in der Familie, in der es aufwächst, als das Zueinander von Mutter und Vater zu erleben. Das spricht meiner Meinung nach dagegen, dass gleichgeschlechtliche Paare mithilfe der Reproduktionsmedizin oder einer Leihmutter Eltern werden.
Parallel zu den Bemühungen um ein Kind wird immer mehr dafür getan, Erbkrankheiten und genetische Defekte bei Embryonen auszuschließen. Sind dies zwei Seiten derselben Medaille?
Am Ursprung steht der Wille, über das Kind zu verfügen. Ungewollt kinderlose Paare wollen zwar unbedingt ein Kind, aber oft nur dann, wenn es gesund ist. Das ist ein Widerspruch in ihrer Einstellung, denn Elternverantwortung ist von ihrem Wesen her bedingungslos. Man nimmt ein Kind so an, wie es ist. Natürlich ist es ein berechtigter Wunsch aller Eltern, ein gesundes Kind zu haben, aber das ist etwas anderes, als es zur Bedingung zu machen, dass ein Kind nicht krank oder behindert ist.
Sind Embryonen in Deutschland ausreichend vor Selektion geschützt?
Das ist ein ethisches Problem, das auch die normale In-vitro-Fertilisation in regulären Partnerschaften betrifft. Das Embryonenschutzgesetz in Deutschland schreibt vor, dass höchstens drei Embryonen innerhalb eines Behandlungszyklus erzeugt werden dürfen – die dann der Frau auch eingepflanzt werden. Es sollen keine verwaisten Embryonen zurückbleiben. Aber dieses Verfahren wurde in der Praxis schleichend aufgeweicht. Problematisch ist dabei, dass das Überleben der überzähligen Embryonen ungesichert ist.
Sehen Sie eine Notwendigkeit, dass der Gesetzgeber auf die neuen medizinischen Möglichkeiten reagieren muss?
Wenn das Embryonenschutzgesetz verbindlich praktiziert würde, würde es ausreichen. Viele Reproduktionsmediziner fordern jedoch, die Vorschriften zu lockern, um beispielsweise überzählige Embryonen anderen Paaren zur Adoption anbieten zu können. Ihr Ziel ist es, das Geschäftsmodell der Reproduktionsmedizin auszuweiten.
Trotz des Verbots der Leihmutterschaft in Deutschland haben es Paare geschafft, sich als Eltern so entstandener Kinder eintragen zu lassen. Wie funktioniert das?
In Indien beispielsweise gibt es deutsche Konsulate, die den Behörden dort zusagen, dass ein so entstandenes Kind die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen wird – nach indischem Recht wäre eigentlich die Nationalität der Mutter entscheidend für die des Kindes. Deutsche Behörden kooperieren in einem Umfang, der einen Widerspruch im staatlichen Handeln darstellt. Das darf eigentlich nicht sein.
Vor nicht allzu langer Zeit war die geringe Geburtenquote in Deutschland das große Thema, jetzt ist es der unerfüllte Kinderwunsch. Sind Kinder zu einer Art Mode geworden?
Die Wünsche sind sehr individuell geworden. Es gibt Frauen, die sich bewusst gegen Kinder entscheiden, weil sie meinen, dass sie sonst ihre Lebens- oder Karriereziele nicht erreichen. Andere haben genau das umgekehrte Lebensziel und meinen, ohne ein Kind nicht glücklich sein zu können. Das eine wie das andere hängt vielleicht mit der mangelnden Bereitschaft zusammen, vorgegebene Dinge oder auch schicksalhafte Einschränkungen im Leben zu akzeptieren.
Was raten Sie als Theologe Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch?
Ich will nicht moralisieren und sagen, dass die Möglichkeit einer künstlichen Befruchtung überhaupt nicht infrage kommen sollte. Aber ich würde ihnen den Ratschlag geben zu überlegen, ob sie die Kinderlosigkeit in ihrem Leben nicht doch akzeptieren können. Die In-vitro-Fertilisation ist mit so großen Belastungen verbunden, aber die Ärzte in den reproduktionsmedizinischen Zentren werben immer mit dem Bild glücklicher Eltern, die ein gesundes Kind mit nach Hause nehmen. Das ist allerdings nur in einem Viertel der Fälle zutreffend. Alle anderen nehmen oft jahrelange Mühen auf sich – und haben am Ende kein Kind. Das sind diejenigen, die den größten Schaden haben, weil ihr Selbstwertgefühl doppelt unter dieser Situation leidet.