Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Klartext und Ladesäule vom EnBW-Chef
10. Isnyer Energiegipfel gewährt Einblick in Milliarden-Branche im Umbruch.
- Konzernlenker seiner Bedeutung, gekleidet in Maßanzüge, „Beweger“von Milliardenumsätzen, Entscheider über die Zukunft der Industrienation Deutschland und zugleich über die Schicksale zigzehntausender Familien ihrer Mitarbeiter – zumeist flimmern sie nur via Fernsehbild in die Provinz. Leibhaftig zum „Anfassen“, charismatisch, charmant, erstaunlich redselig, dabei fesselnd, witzelnd: So präsentierte sich vergangenen Freitag der Vorstandsvorsitzende der Energie Baden-Württemberg (EnBW), der promovierte Chemiker Frank Mastiaux, als Festredner – und „Anstöpsler“der ersten kommunalen Tanksäule für Elektrofahrzeuge – auf dem 10. Isnyer Energiegipfel im Kurhaus. Er sprach über die Energiewende und die Rolle, die „sein“Konzern darin spielt und, wie er offen gestand, zum Teil auch noch suchen muss.
„Die Energiewende ist eine komplexere Geschichte: Es geht um Einstellungen, Werte, Haltung, um eine fundamentale Veränderung für die Industrie in sehr kurzer Zeit – das ist herausfordernd und spannend“, sagte Mastiaux. Und er zeichnete ein im Wortsinn „umwerfendes“Bild: Mit dem Atomausstieg, einer „energiepolitischen Sache“, seien die Versorger und andere Technologieunternehmen, die sich mit Energie befassen, auf einen „Waldweg“gesetzt worden, auf dem die Energiewende „wie ein Elefant“auf sie zugekommen sei. Wer sich darüber gewundert habe, sei – „rumms“– schon überrannt worden. Der entgegenkommende Elefant dürfe nicht hinterfragt werden, seine Existenz sei schlicht hinzunehmen. Und nicht nur das: „Wir hören links und rechts des Waldweges Tiere, wir wissen aber nicht, welche“, übertrug Mastiaux auf die neuen Technologien, mit denen sich auch die EnBW, aber nicht nur sie befasse und auseinandersetzen müsse.
Neue Kooperationsformen
Welche das sind – dezentrale, regenerative Energieversorgung und deren Verschmelzung mit E-Mobilität, Digitalisierung, neue Kooperationsformen zwischen Industrie und Kommunen und daraus resultierende Strategien für beide Seiten – darüber diskutierte nach dem Festvortrag ein Septett von Fachleuten: Moderator Bernd Lewin, Fakultätsleiter „Energiewirtschaft“an der Hochschule Biberach, befragte Klaus Pfeilsticker, den in Isny geborenen Klimaforscher der Universität Heidelberg, Autor des Energiekonzepts seiner Heimatstadt und Initiator der „Freien Energiestadt“, Eduard Heindl, NTA-Absolvent und heute Professor an der Hochschule Furtwangen, Thomas Speidl, Geschäftsführer eines Software-Unternehmens, das sich mit Stromspeichermöglichkeiten vom Einfamilienhaus bis hin zu „Quartierlösungen“in ganzen Stadtvierteln beschäftigt, weiter Achim Kötzle, den Geschäftsführer der Stadtwerke Tübingen, sowie Werner Süß, Honorarprofessor an der Universität Leipzig und vormals Vertriebschef Europa des Energieriesen Vattenfall.
Unter ihnen allen herrschte Einigkeit, dass die Energiewende unumkehrbar ist und sie sich in einer Branche bewegten, „auf die alle Welt schaut“. Von New York bis Peking gelte die deutsche Energiewende als eins der spektakulärsten Vorhaben im 21. Jahrhundert. „Wobei die uns mehr zutrauen als wir uns selbst“, sagte Pfeilsticker mit Blick auf die Chancen für den Technologiestandort Deutschland. Aus ihnen erwüchsen die „Geschäftsmodelle der Zukunft“, Energie werde nicht mehr nur geliefert, sondern zur RundumDienstleistung, sagte Kötzle.
Wer dies denn steuere fragte Moderator Lewin in die Runde, „der Markt“? Speidl verneinte, er erwarte bei so manchem Unternehmen „disruptive Momente“, die – vergleichbar mit Nokia beim Aufkommen der Smartphones – auch Konzerne hinwegfegen könnten. Nach den Worten von Süß sei das Energiesystem, wie es bisher bestand, „gekippt“, woraus sich „die Chance für neue Wettbewerbskonstellationen“ergebe. Mit Blick auf die immer dezentralere Energieerzeugung verglich Heindl die Branche mit der Lebensmittelindustrie, vom Bauern bis zum Supermarkt: „Energie wird zum Flächenprodukt, es wird Unternehmen geben, die gleichzeitig ernten, speichern und auch verteilen.“Süß ergänzte: „Isny lebt ein Stück weit schon diesen Traum.“
An diesem Punkt erinnerte Kötzle an die von Mastiaux angeführten „Werte“: „Es ist wichtig, dass wir alle Menschen mitnehmen, gleichermaßen be- und entlasten, wir müssen einer Entsolidarisierung entgegenwirken“. Darin sehe er eine Aufgabe der Politik, die die Energiewende zu begleiten habe. Pfeilsticker äußerte die Sorge: „Was passiert mit der mittelständischen Industrie? Die politischen Konsequenzen nehmen wir dramatisch wahr.“