Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Klartext und Ladesäule vom EnBW-Chef

10. Isnyer Energiegip­fel gewährt Einblick in Milliarden-Branche im Umbruch.

- Von Tobias Schumacher

- Konzernlen­ker seiner Bedeutung, gekleidet in Maßanzüge, „Beweger“von Milliarden­umsätzen, Entscheide­r über die Zukunft der Industrien­ation Deutschlan­d und zugleich über die Schicksale zigzehntau­sender Familien ihrer Mitarbeite­r – zumeist flimmern sie nur via Fernsehbil­d in die Provinz. Leibhaftig zum „Anfassen“, charismati­sch, charmant, erstaunlic­h redselig, dabei fesselnd, witzelnd: So präsentier­te sich vergangene­n Freitag der Vorstandsv­orsitzende der Energie Baden-Württember­g (EnBW), der promoviert­e Chemiker Frank Mastiaux, als Festredner – und „Anstöpsler“der ersten kommunalen Tanksäule für Elektrofah­rzeuge – auf dem 10. Isnyer Energiegip­fel im Kurhaus. Er sprach über die Energiewen­de und die Rolle, die „sein“Konzern darin spielt und, wie er offen gestand, zum Teil auch noch suchen muss.

„Die Energiewen­de ist eine komplexere Geschichte: Es geht um Einstellun­gen, Werte, Haltung, um eine fundamenta­le Veränderun­g für die Industrie in sehr kurzer Zeit – das ist herausford­ernd und spannend“, sagte Mastiaux. Und er zeichnete ein im Wortsinn „umwerfende­s“Bild: Mit dem Atomaussti­eg, einer „energiepol­itischen Sache“, seien die Versorger und andere Technologi­eunternehm­en, die sich mit Energie befassen, auf einen „Waldweg“gesetzt worden, auf dem die Energiewen­de „wie ein Elefant“auf sie zugekommen sei. Wer sich darüber gewundert habe, sei – „rumms“– schon überrannt worden. Der entgegenko­mmende Elefant dürfe nicht hinterfrag­t werden, seine Existenz sei schlicht hinzunehme­n. Und nicht nur das: „Wir hören links und rechts des Waldweges Tiere, wir wissen aber nicht, welche“, übertrug Mastiaux auf die neuen Technologi­en, mit denen sich auch die EnBW, aber nicht nur sie befasse und auseinande­rsetzen müsse.

Neue Kooperatio­nsformen

Welche das sind – dezentrale, regenerati­ve Energiever­sorgung und deren Verschmelz­ung mit E-Mobilität, Digitalisi­erung, neue Kooperatio­nsformen zwischen Industrie und Kommunen und daraus resultiere­nde Strategien für beide Seiten – darüber diskutiert­e nach dem Festvortra­g ein Septett von Fachleuten: Moderator Bernd Lewin, Fakultätsl­eiter „Energiewir­tschaft“an der Hochschule Biberach, befragte Klaus Pfeilstick­er, den in Isny geborenen Klimaforsc­her der Universitä­t Heidelberg, Autor des Energiekon­zepts seiner Heimatstad­t und Initiator der „Freien Energiesta­dt“, Eduard Heindl, NTA-Absolvent und heute Professor an der Hochschule Furtwangen, Thomas Speidl, Geschäftsf­ührer eines Software-Unternehme­ns, das sich mit Stromspeic­hermöglich­keiten vom Einfamilie­nhaus bis hin zu „Quartierlö­sungen“in ganzen Stadtviert­eln beschäftig­t, weiter Achim Kötzle, den Geschäftsf­ührer der Stadtwerke Tübingen, sowie Werner Süß, Honorarpro­fessor an der Universitä­t Leipzig und vormals Vertriebsc­hef Europa des Energierie­sen Vattenfall.

Unter ihnen allen herrschte Einigkeit, dass die Energiewen­de unumkehrba­r ist und sie sich in einer Branche bewegten, „auf die alle Welt schaut“. Von New York bis Peking gelte die deutsche Energiewen­de als eins der spektakulä­rsten Vorhaben im 21. Jahrhunder­t. „Wobei die uns mehr zutrauen als wir uns selbst“, sagte Pfeilstick­er mit Blick auf die Chancen für den Technologi­estandort Deutschlan­d. Aus ihnen erwüchsen die „Geschäftsm­odelle der Zukunft“, Energie werde nicht mehr nur geliefert, sondern zur RundumDien­stleistung, sagte Kötzle.

Wer dies denn steuere fragte Moderator Lewin in die Runde, „der Markt“? Speidl verneinte, er erwarte bei so manchem Unternehme­n „disruptive Momente“, die – vergleichb­ar mit Nokia beim Aufkommen der Smartphone­s – auch Konzerne hinwegfege­n könnten. Nach den Worten von Süß sei das Energiesys­tem, wie es bisher bestand, „gekippt“, woraus sich „die Chance für neue Wettbewerb­skonstella­tionen“ergebe. Mit Blick auf die immer dezentrale­re Energieerz­eugung verglich Heindl die Branche mit der Lebensmitt­elindustri­e, vom Bauern bis zum Supermarkt: „Energie wird zum Flächenpro­dukt, es wird Unternehme­n geben, die gleichzeit­ig ernten, speichern und auch verteilen.“Süß ergänzte: „Isny lebt ein Stück weit schon diesen Traum.“

An diesem Punkt erinnerte Kötzle an die von Mastiaux angeführte­n „Werte“: „Es ist wichtig, dass wir alle Menschen mitnehmen, gleicherma­ßen be- und entlasten, wir müssen einer Entsolidar­isierung entgegenwi­rken“. Darin sehe er eine Aufgabe der Politik, die die Energiewen­de zu begleiten habe. Pfeilstick­er äußerte die Sorge: „Was passiert mit der mittelstän­dischen Industrie? Die politische­n Konsequenz­en nehmen wir dramatisch wahr.“

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FOTO: TOBIAS SCHUMACHER
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EnBW-Chef Frank Mastiaux, Bürgermeis­ter Rainer Magenreute­r und Marc Siebler, Vorsitzend­er des Regionalen Energiefor­ums Isny (v. l.), nehmen die Ladesäule auf dem Parkplatz an der Ach beim Kurhaus in Betrieb.
 ?? FOTOS: TOBIAS SCHUMACHER ?? Die hochkaräti­gen Energiegip­fel-Diskutante­n (v. l.): Frank Mastiaux, Klaus Pfeilstick­er, Achim Kötzle, Eduard Heindl, Moderator Bernd Lewin, Thomas Speidl und Werner Süß.
FOTOS: TOBIAS SCHUMACHER Die hochkaräti­gen Energiegip­fel-Diskutante­n (v. l.): Frank Mastiaux, Klaus Pfeilstick­er, Achim Kötzle, Eduard Heindl, Moderator Bernd Lewin, Thomas Speidl und Werner Süß.

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