Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Das erste und letzte Scheitern
Der 40-jährige Schweizer Extrembergsteiger Ueli Steck ist am Himalaya tödlich verunglückt
(dpa) - Im Oktober feierte Ueli Steck seinen 40. Geburtstag. Kein gutes Alter für einen Extrembergsteiger. Steck, weltweit einer der besten, hatte sich mit dem Thema genauer beschäftigt. Dabei stellte der Schweizer fest, dass ungewöhnlich viele Kletterprofis zwischen 40 und 45 am Berg den Tod finden. Weil der Körper eben doch schwächer wird, das Risiko aber bleibt. Mehrfach erzählte er seither: „Ich bin erschrocken, wie viele nach dem 40. Geburtstag verunglückt sind.“Steck feierte den Tag trotzdem. So wie Bergsteiger eben feiern: zusammen mit seiner Frau Nicole, hoch droben in einem Zelt am Shivling, einem Berg im nordindischen Teil des Himalaya. Kein großes Fest, immerhin gab es frische Kartoffeln.
Vielleicht hatte er tatsächlich eine Todesahnung. Im Himalaya, am Fuß des höchsten Bergs der Welt, des Mount Everest, ist Steck nun ums Leben gekommen. Auf einer Vorbereitungstour für sein neuestes Rekordprojekt – der Doppelbesteigung des Everest (8848 Meter) und des Nachbarbergs Lhotse (8516) – stürzte er tausend Meter in die Tiefe. Er war allein unterwegs. Er wurde 40 Jahre, sechs Monate und 26 Tage alt.
Schon mit 18 auf der Nordwand
Der Schweizer gehörte zu den prominentesten Extrembergsteigern der Welt. Die Eigernordwand durchstieg er schon mit 18 das erste Mal – und dann viele weitere Male. Sein Rekord steht noch immer: zwei Stunden und 22 Minuten. Im Sommer 2015 kletterte er auf alle 82 Viertausender der Alpen. Die Strecken dazwischen legte er zu Fuß, mit dem Fahrrad oder per Gleitschirm zurück.
Steck bezwang aber auch die Klassiker in anderen Weltregionen, den Everest, die Annapurna, den Mount Dickey in Alaska oder El Capitan in Kalifornien. Immer ohne Flaschensauerstoff, meist in enormem Tempo, manchmal geradezu irrsinnig schnell. Er rannte geradezu durch die Berge. Über Leistung und Rekorde definierte er sich. In der Szene trug er den Spitznamen „Swiss Machine“, die „Schweizer Maschine“. Steck mochte ihn nicht. Aber von den Schlagzeilen lebte er.
Der Schweizer schrieb Bücher, hielt Vorträge, hatte mehrere Sponsoren. „Fast and light“war sein Motto, schnell und leicht, ohne viel Material. Auf dem Auto, das ihm ein deutscher Konzern zur Verfügung stellte, stand rechts und links ganz groß seine Internet-Adresse: www.uelisteck.ch. Sein letzter Eintrag auf Facebook stammt vom 26. April. Steck schrieb dazu: „Ich liebe es hier, es ist so ein schöner Ort.“Ganz in der Nähe starb er.
Gefährliche Situationen hatte er schon mehrere überstanden. 2007, an der Annapurna, traf ihn ein Stein. Er verlor das Bewusstsein, rutschte Hunderte Meter ab, blieb aber heil. 2013 wurde er am Everest von wütenden Sherpas fast erschlagen. Angeblich hatte er mit seinem Team einen Eisschlag ausgelöst und die Sherpas in Gefahr gebracht. Die Geschichte machte als „Krieg am Everest“Schlagzeilen. Steck gab später zu, er habe damals eine „rote Linie“überschritten.
Düstere Vorahnungen
Jüngstes Projekt war nun, innerhalb von 48 Stunden auf den Everest und dann über die Westschulter auf den Lhotse zu kommen, was überhaupt nur eine einzige Seilschaft und ohne künstlichen Sauerstoff noch nie jemand geschafft hat. Dem Schweizer „Tages-Anzeiger“gab er dazu ein Interview – vermutlich das letzte. Darin sagte er: „Irgendwann riskierst du so viel, dass es knallt.“Der letzte Satz lautete: „Scheitern heißt für mich: Wenn ich sterbe und nicht heimkomme.“
Steck, der in Ringgenberg bei Interlaken zu Hause war, hinterlässt seine Frau. Kinder wollte er keine. Er war der Meinung, dass sich das mit seinem Beruf nicht vereinbaren ließ. Im Interview zu seinem 40. sagte er: „Es ist schon schwierig genug, das Risiko vor sich zu verantworten – und vor seiner Frau.“Bestattet wird er nun vermutlich in Nepal. In der Heimat ist eine Trauerfeier geplant.