Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Der Euro zerstört Europa“
Bestseller-Autor erklärt, was in der Politik schief läuft – Vortrag ist in Friedrichshafen
- Ihr aktuelles Buch ist auf der Spiegel-Bestsellerliste und trägt den Titel „Sonst knallt’s: Warum wir Wirtschaft und Politik radikal neu denken müssen“: Die Autoren und Finanzexperten Marc Friedrich und Matthias Weik sehen schwarz für Europa und den Euro, wenn das Sozial-, Finanz- und Bildungssystem nicht umgebaut wird. Was uns dann erwarten könnte, erzählen sie im Rahmen der BürgerUniversität der Zeppelin-Universität am Mittwoch, 3. Mai, ab 19.15 Uhr auf dem See-Campus am Seemooser Horn. Mark Hänsgen hat Marc Friedrich vorab gefragt, was hinter den Schlagworten steckt.
Sie sagen, unser Wohlstand und unsere Demokratie seien in Gefahr. Harte Worte. Steht Europa wirklich am Abgrund?
„Definitiv, die Warnsignale sind nicht mehr zu übersehen. Ich kann mich nicht in irgendeiner Denkschublade verordnen. Ich bin Ökonom und für mich zählen die volkswirtschaftlichen Eckdaten. Die Zahlen zeigen ganz deutlich, dass es zum Beispiel den Ländern in Südeuropa wirtschaftlich mit dem Euro wesentlich schlechter geht, wie mit den alten, souveränen Währungen. Der Euro eint Europa nicht, der Euro zerstört Europa. Er gefährdet tatsächlich unseren Wohlstand und unsere Demokratie. Wir sehen doch, dass die Kollateralschäden durch eine falsche Notenbankpolitik immer größer werden - monetär und gesellschaftlich. Links- und rechtsextreme Parteien werden immer stärker – in den Niederlanden, in Frankreich, in Italien. Dieser Stein ist ins Rollen gekommen und auch nicht mehr zu stoppen. Wir müssen das nachweislich gescheiterte Währungsexperiment Euro endlich ad acta legen, weil es innerhalb des Zins- und Währungskorsetts der Europäischen Zentralbank (EZB) niemals eine Gesundung für die Krisenländer in Südeuropa geben wird.“
Was muss die europäische Politik noch tun, um die Probleme in den Griff zu kriegen?
„Wir müssen nicht nur zurück zu souveränen Währungen, wir brauchen auch einen Schuldenerlass für die Länder Südeuropas. Wenn nicht einmal Deutschland als Exportweltmeister in Rekordjahren einen Cent Schulden zurückbezahlt, dann sollte uns allen klar sein, dass die Länder Südeuropas niemals ihre Schulden bezahlen werden. Wir müssen die Geldschöpfung der Banken eindämmen und die Finanzbranche strikt regulieren, statt sie zu deregulieren. Und wir müssen die Menschen mit Volksabstimmungen in den demokratischen Entscheidungsprozess mitaufnehmen. Das bedingungslose Grundeinkommen ist unausweichlich, weil wir durch die Digitalisierungen – die Industrie 4.0 – sehr viele Arbeitsplätze verlieren werden. Die Vereinten Nationen gehen von 50 bis 75 Prozent aller Arbeitsplätze aus. Da stellt sich die Frage, was wir mit den Heeren an Arbeitslosen machen sollen. Wir merken doch jetzt schon, dass immer mehr Menschen von ihrer Hände Arbeit nicht leben können. Wir haben in Deutschland einen der größten Niedriglohnsektoren Europas mit knapp neun Millionen Menschen. Die können schon jetzt nichts fürs Alter ansparen, zahlen nichts in die Rentenkasse ein und können im Zuge der Nullzinsphase auch nicht sinnvoll anlegen. Da wird eine Altersarmutswelle auf uns zukommen, die sich gewaschen hat und die auch Deutschland als Exportweltmeister nicht zu stemmen vermag. Die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer größer. Die digitalisierte Welt wird ohne das bedingungslose Grundeinkommen überhaupt nicht funktionieren. Aber die Politik versagt leider. Sie reagiert nur und agiert nie. Sie hat nicht die notwendigen Lösungen für die dringendsten Fragen, die uns in der Zukunft entgegenkommen werden.“
Angenommen, es ändert sich wenig am politischen System. Wann käme dann eigentlich der Knall, den Sie voraussagen?
Ich denke, der Knall ist schon da. Es ist ein schleichender Prozess. Wir sehen es jetzt schon. Wir haben historisch tiefe Zinsen. Das zeigt doch, wie verzweifelt die Notenbanken weltweit sind, das ganze Geldsystem überhaupt noch am Laufen zu halten. Auf der anderen Seite sehen wir, dass die EZB und die nationalen Noten- banken 1,7 Billionen Euro in die Märkte pumpt, um Anleihen von Staaten zu kaufen, die eigentlich bankrott sind, und um Anleihen von Unternehmen zu kaufen, die eigentlich insolvent sind. Wir erleben ein einmaliges Notenbank- und Währungsexperiment, das aber definitiv scheitern wird. Noch nie hat man eine Krise durch Geld drucken gelöst. Das haben wir in den 20er-Jahren in Deutschland auch versucht. Und parallel steht unsere freiheitliche Demokratie auf dem Spiel, weil jetzt die Schreihälse jeglicher Couleur kommen und einfache Lösungen versprechen, die es aber nicht gibt. Und da habe ich als überzeugter Europäer und Demokrat große Bauchschmerzen. Da müssen wir reingrätschen und aktiv werden. Ansonsten knallt’s noch mehr. Der wahre Wandel kommt immer von unten. Wenn wir Glück haben friedlich, so wie 1989 in Leipzig. Wenn wir Pech haben, dann wie 1789 in Paris.
In vielen Städten gehen Bürger auf die Straße, um EU und die europäische Idee zu verteidigen. Was halten Sie von dieser Bewegung?
Ich bin überzeugter Europäer, aber kein Anhänger der EU. Sie ist eine edle Idee, hat sich in den letzten Jahren aber zu sehr von der Realität entfernt. Es wird vom Elfenbeinturm aus regiert. Immer mehr Europäer fühlen sich von Brüssel nicht mehr abgeholt. Das ist eine brandgefährliche Entwicklung für unsere Demokratie. Der erste Warnschuss vor den Bug war der Brexit. Ich hatte gehofft, dass dies Brüssel wachrüttelt, eine Kehrtwende initiiert und die Politiker auf den Boden der Tatsachen zurückommen. Aber das ist nicht passiert. Und ab dem Punkt wusste ich, die machen weiter so wie bisher und werden den Karren gegen die Wand fahren. Deshalb würde ich mir wünschen, dass man in Europa eine Volksabstimmung abhält, nach dem Motto ,Wollt ihr die EU?’, ,Wollt ihr mehr oder weniger EU?’. Aber leider hat die Politik wohl Angst vor Volksabstimmungen, weil herauskommen würde, dass sie gar nicht mehr so beliebt ist, wie viele Umfragen zeigen. Ich denke, der Brexit war der Anfang vom Ende der EU in ihrer jetzigen Form.
Was raten Sie Bürgern, die einfach ein normales, friedliches und weltoffenes Leben führen wollen?
Sie müssen mit örtlichen Politikern und Abgeordneten sprechen. Sie müssen versuchen, sich zu informieren und sich zu einem mündigen Bürger zu entwickeln. Sein Vermögen zu schützen, ist auch ein wichtiges Thema. Es ist ein heißes Eisen, was da geschmiedet wird. Und natürlich rate ich jedem, mit offenen Augen durchs Leben zu gehen und für Gerechtigkeit einzustehen. Deswegen haben wir dieses Buch auch vor der Bundestagswahl geschrieben. Wir sehen es als überparteiliches Programm, aus dem unabhängig von Ideologien Politik für das Land und die Menschen entstehen soll – ohne Schubladendenken.