Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Hochbegabte Mädchen haben die Tendenz, still und leise zu leiden.“
Die Geborgenheit in der Familie ist am wichtigsten, sagt eine Expertin, unabhängig von der Intelligenz
Ine Bösche (Foto: privat) ist zweite Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für das hochbegabte Kind (DGhK) in Baden-Württemberg. Erich Nyffenegger hat sie gefragt, welche Möglichkeiten es heute gibt, damit kluge Köpfe nicht zu Außenseitern werden.
Bei den vielen Geschichten, die man über Hochbegabung hört, stellt sich die Frage, ob das Phänomen in Deutschland eine Behinderung ist.
Nein. Aber das Stichwort lautet auch hier: Inklusion. Die Betroffenen wünschen sich, dass sie regulär in die Gesellschaft integriert sind und nicht hinten runterfallen. Es ist kein Luxusproblem für Hochbegabte, die oft gar nicht wissen, dass sie eine Hochbegabung haben und nur spüren, dass sie anders sind.
Warum kommen hochbegabte Kinder tendenziell eher schlechter mit einem „normalen“Umfeld zurecht?
Kann man so nicht wirklich sagen. Denn von denen, die gut klarkommen, hören wir ja nichts. Es sind jene, die im Denken so ausgebremst werden, dass sie unglücklich werden, Hilfe suchen, weil sie sich entsetzlich langweilen, wenn sie gezwungen sind, immer nur mitzuschwimmen. Etwa zwei Prozent eines Jahrgangs gelten als hochbegabt, haben also bei einem kognitiven IQ-Test 130 oder mehr Punkte. Aber es gibt noch viel mehr Hochbegabung, die wir mit einem solchen Test nicht messen können. Etwa sportliche, musikalische, technische oder soziale Hochbegabung.
Was passiert mit Kindern, die mit ihrer besonderen Intelligenz alleingelassen werden?
Es kann sein, dass das Kind aufhört, mitzumachen und dabei zu sein. Und so trotz besonderer Intelligenz den Anschluss verpasst. Wenn man so ein Kind nicht auffängt, kann es bis zu Depressionen und Suizidgedanken kommen. Mädchen haben übrigens die Tendenz, still und leise zu leiden, sich anzupassen und unglücklich zu werden.
Was ist das richtige Mittel, um das zu verhindern? Besondere Schulen? Internat?
Das ist individuell sehr verschieden. In Schwäbisch Gmünd existiert ein Internat für Hochbegabte. Aber was für den einen Fall gut ist, kann für den anderen schlecht sein. Die allermeisten Hochbegabten sind in der normalen Gesellschaft prima aufgehoben, wenn sie in ihrem Tempo denken und handeln dürfen. Wie bei jedem anderen Kind auch ist es wichtig herauszufinden, was ihm guttut, was es anregt, fröhlich zu sein. Wichtigster Punkt ist die Geborgenheit in der Familie, egal wo der IQ liegt. Und in der normalen Schule wird heute schon vielerorts unterteilt zwischen Förder-, Normal- und Forderbedarf.
Welchen Rat haben Sie für Eltern, die nicht wissen, ob eine übersprungene Klasse der richtige Weg ist?
Eine Lösung können Hospitationen sein. Das Kind besucht die höhere Klassenstufe nur für drei oder vier Wochen und alle Beteiligten sehen, was geschieht. Sollte es nicht gut klappen, kann das Kind ohne Gesichtsverlust zurückkehren. Oder man stellt fest, dass es dem Kind schnell besser geht. Viele Schulleiter sind für Hospitationen aufgeschlossen. Es muss jedenfalls kein Hauruck-Verfahren sein.
Geht die Gesellschaft heute besser mit Hochbegabung um, oder sind wir da immer noch in der Steinzeit?
Steinzeit sicherlich nicht. Aber es gibt immer noch viele Vorurteile und Aufklärungsbedarf. Hochbegabung ist eben nicht nur der 8-jährige Börsenexperte, der im Fernsehen herumgereicht wird. Es ist vielschichtiger und einfache Antworten gibt es nicht.