Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Vom Känguru zum Prothesenkönig
Johannes Floors sprintet auch über 200 Meter und mit der Staffel zum Sieg – Pistorius ist sein sportliches Vorbild
(SID/dpa) - Johannes Floors hatte nach seinem Gold-Coup über 200 Meter nur einen ganz bescheidenen Wunsch: einen heißen Tee. „Am liebsten mit Zitrone“, sagte der Leverkusener in der Mixed Zone des Olympiastadions, nachdem er bei 13 Grad Celsius durch den Londoner Regen zum zweiten Mal bei dieser Para-WM zu Gold gesprintet war.
Doppel-Weltmeister über 200 m beziehungsweise 400 m. Dazu Silber über 100 m – und dann bei der abschließenden Staffel über 4x100 Meter gemeinsam mit Leon Schäfer, Markus Rehm und Tom Malutedi unverhofft noch einmal Weltmeister. Die siegreiche US-Staffel wurde wegen eines Wechselfehlers nachträglich disqualifiziert. „Das ist schon sehr geil. Wir hatten viel trainiert, viel umgestellt, aber keine Erwartungen. Deshalb ist dieser Erfolg unglaublich“, sagte der unterschenkelamputierte Floors, der nach seinem Sturm in die Weltspitze schon an die Paralympics 2020 in Tokio dachte: „Olympiasieger will jeder werden, ich natürlich auch.“Ein Jahr vorher findet schon die EM in Berlin statt. „Und da will ich am Weltrekord kitzeln“, sagte Floors.
Der 22-Jährige ist so etwas wie das frische Gesicht des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS). Und der smarte Blondschopf besitzt absolutes Starpotenzial. Die ganze Welt spreche jetzt über ihn, wie er denn mit der neuen Aufmerksamkeit umgehe, wurde er von einer japanischen Journalistin gefragt. „Das ist toll. Ich denke, das schaffe ich sehr gut“, sagte Floors, der zuvor schon auf der einstigen Paradestrecke seines sportlichen Vorbilds Oscar Pistorius über die 400 Meter gesiegt und zudem noch Silber über die 100 Meter gewonnen hatte.
Erst seit 2011 amputiert
Schon vor der WM war er als der „Kronprinz von Oscar Pistorius“, „Prothesen-König“und „Deutscher Blade Runner“betitelt worden. Der doppelseitig Unterschenkelamputierte „Blade Runner“aus Südafrika hatte den Behindertensport einst mit seinen Fabelzeiten in den Fokus der Weltöffentlichkeit gebracht. Nun sitzt er aber wegen Mordes an seiner Lebensgefährtin Reeva Steenkamp im Gefängnis. Sehr schrecklich sei das, sagte Floors, habe aber mit dem Sport nichts zu tun. Und aus sportlicher Sicht ist der sechsmalige Paralympicssieger Pistorius für Floors eine Inspiration. „Er ist mein Held. Wenn man sich den paralympischen Sport betrachtet: Das ist Oscar. Er war unglaublich“, schwärmte er.
Vielleicht ein gutes Omen für Maschinenbaustundent Floors: Bevor Pistorius bei Olympia 2008 in Peking mit dreimal Gold durchstartete, hatte er bei der WM zwei Jahre zuvor in Assen unter anderem auch die Titel über 200 m und 400 m gewonnen.
Floors selbst hat eine ungewöhnliche Geschichte hinter sich. Erst 2011 hatte er sich entschieden, seine Unterschenkel amputieren zu lassen, nachdem er mit einem Fibula-Gendefekt auf die Welt gekommen war. Das Wadenbein hatte sich nicht gebildet, der Fuß wuchs verkümmert, hatte nur drei Zehen. Floors Oberkörper war im Vergleich zu den Beinen überdimensional groß. „Ich hatte die Wahl: Entweder du sitzt irgendwann im Rollstuhl oder du lässt dir die Unterschenkel amputieren, hast dann Prothesen und machst das Beste daraus“, sagte der gebürtige Bissendorfer.
2014 bekam er seine ersten Sportprothesen. „Damit bin ich am Anfang eher rumgehüpft wie ein Känguru“, erzählte der frühere Spitzenschwimmer schmunzelnd. Mit den Gehhilfen wuchs auch das Selbstwertgefühl – statt 1,60 ist der Doppel-Weltmeister jetzt 1,80 Meter groß.