Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Gefangen in einer Alptraumwelt
Premiere von Alban Bergs „Wozzeck“bei den Salzburger Festspielen bejubelt
SALZBURG - Nach Schostakowitschs Oper „Lady Macbeth von Mzensk“bringen die Salzburger Festspiele mit Alban Bergs „Wozzeck“ein weiteres Musikdrama des 20. Jahrhunderts: Längst ist die Tragödie um Wozzeck, der sich zu medizinischen Versuchen missbrauchen lässt und aus Eifersucht zum Mörder wird, ein Klassiker. Doch Aussage und musikalische Intensität sind immer wieder beklemmend. In Salzburg führt der südafrikanische Künstler William Kentridge Regie und verstärkt die Wirkung durch eigene Skizzen, Bilder und Filme. Die musikalische Leitung liegt in den Händen des russischen Dirigenten Vladimir Jurowski. Die durchgehend hervorragende Besetzung wird angeführt von Bariton Matthias Goerne in der Titelrolle und der litauischen Sopranistin Asmik Grigorian.
Düsternis und Verzweiflung
Treppen, die nirgendwo hinführen, Stege, umgekippte Stühle, ein altes Klavier, eine Leinwand, ein alter Filmprojektor, ein großer Schrank, in dem sich das medizinische Kuriositätenkabinett des Doktors befindet: Auf verschiedenen Ebenen lässt sich die Bühne von Sabine Theunissen bespielen. Was auf den ersten Blick chaotisch wirkt, erhält durch die Beleuchtung Struktur. Dazu verstärken die skizzenhaften Bilder von Kentridge die Atmosphäre. Bald großflächig auf die Bühnenrückwand projiziert, bald als Film von gezeichneten Figuren und Tieren, die wie belebte Scherenschnitte oder Karikaturen wirken, bald als Standbilder sezieren sie die Welt der Protagonisten.
Dunkle Schraffuren, blutrote Akzente, Blitze spiegeln die bizarre Gedankenwelt Wozzecks, die auch die Welt Büchners und des von den Erfahrungen des ersten Weltkriegs traumatisierten Komponisten Alban Berg war. William Kentridge hat die Kriegsbilder aber auch in seiner süd- afrikanischen Heimat gefunden und setzt die Linie von Düsternis und Verzweiflung somit fort. Trichter, Megafone, Gasmasken, Krücken, verzerrte Gesichter sind auf den Bildern zu sehen, kehren in den Figuren auf der Bühne wieder. Die Kostüme von Greta Goiris nehmen die erdigen Braun- und Grüntöne auf, Akzente setzen die weiße Uniform des Tambourmajors und das zuerst noch von einer dunklen Schürze bedeckte rote Kleid der Marie.
In diesem Umfeld erlebt man Wozzeck als den von allen Getriebenen und Verspotteten, der auf An- weisung des Doktors nur Bohnen essen darf und verfolgt wird von Visionen. Matthias Goerne liefert sich dem voll und ganz aus, spiegelt das Unterwürfige wie das Wahnhafte in Mimik und Körpersprache und mischt seiner großen Stimme unendlich viele Farben bei. Vom Sprechen über den Sprechgesang zur kantablen Linie reicht das Spektrum des von Berg geforderten Anspruchs, weich angesetzte Kopfstimme und selbstverständlich wirkende Intervallsprünge zeigen, wie stark Goerne diese Partie verinnerlicht hat.
Überzeugende Rollengestaltung
In Asmik Grigorian hat er eine mädchenhaft wirkende Partnerin mit starker Ausstrahlung und leuchtendem Sopran. Sie vermag Unschuld, mütterliche Wärme, Lebenslust, Angst und Schicksalsergebenheit der Marie auf berührende Weise in ihre Stimme zu legen. John Daszak als körperbetonter Tambourmajor, Mauro Peter als naiver Freund Andres, Gerhard Siegel als schnarrender Hauptmann und Jens Larsen als Doktor sind die in Stimme und Typus überzeugenden Figuren, die Wozzeck und Marie umkreisen. William Kentridge und sein Co-Regisseur Luc de Wit lassen die Geschichte in der Alptraumwelt der inneren und äußeren Bilder wirken, ziehen den Hörer hinein und betonen zugleich das Schablonenhafte der Figuren. Dazu passt, dass das Kind der Marie als Holzpuppe geführt wird.
Im Orchestergraben des Hauses für Mozart gestalten die Wiener Philharmoniker unter Vladimir Jurowski die Partitur einerseits fein kammermusikalisch mit zahlreichen Instrumentalsoli, andererseits auftrumpfend, derb lärmend oder im satten Orchesterklang in den emotionalen Höhepunkten. Bühnenmusik, eine herzhaft aufspielende Wirtshausmusik und der spielfreudige Chor der Wiener Staatsoper vollenden diese tiefgehende, rundum bejubelte Produktion.