Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Die Farbe Schwarz
Sommerlektüre: „Gott, hilf dem Kind“von Toni Morrison
Toni Morrison ist so etwas wie die große alte Dame der amerikanischen Gegenwartsliteratur. 1993 wurde sie als erste Afroamerikanerin mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Das zentrale Thema der mittlerweile 86-Jährigen ist das Leben in einer Gesellschaft, die sich in erster Linie durch Hautfarbe definiert. Auch in ihrem neuen Roman, „Gott, hilf dem Kind“, spielt die Hautfarbe der Hauptfigur eine wichtige Rolle. Vom Tag ihrer Geburt an ist die kleine Lula Ann ein Schock für ihre Mutter: „Sie war so schwarz, dass sie mir Angst machte. Mitternachtsschwarz, sudanesisch schwarz.“
Puzzle aus vielen Teilen
Die Folgen, die diese Hautfarbe für das kleine Mädchen hat, sind dramatisch. Der Vater verlässt die Familie, und die Mutter schafft es nicht, eine Beziehung zu ihrer Tochter aufzubauen. Es kostet sie Überwindung, das Mädchen zu berühren, und sie lässt sich von ihr nicht Mutter nennen, sondern „Sweetness“– Süße.
Dann folgt ein Schnitt. Lula Ann Brideswell hat mittlerweile ihren Namen zu „Bride“verkürzt und Karriere in der Kosmetikbranche gemacht. Ihre Hautfarbe setzt sie nun zu ihrem Vorteil ein. Sie trägt ausschließlich weiße Kleider, die ihre besondere Erscheinung noch mehr betonen. Es sieht so aus, als sei Brides Leben zum Erfolg geworden, doch der Eindruck täuscht. Als ihr Freund Booker sie mit dem Satz „Du bist nicht die Frau, die ich will“verlässt und spurlos verschwindet, macht sie sich auf die Suche nach ihm – dem einzigen Menschen, der ihr tatsächlich nahegekommen ist. Dabei strandet sie nach einem Autounfall bei einem Hippie-Pärchen, das zufrieden in einfachsten Verhältnissen mit Findelkind Rain lebt. Das Mädchen wurde von ihrer leiblichen Mutter misshandelt. Erst allmählich erkennt Bride das Glück, das in menschlicher Gemeinschaft liegen kann.
Toni Morrison hat „Gott, hilf dem
Kind“als Puzzle aus vielen Bruchstücken, Zeitebenen und Stimmen gestaltet. Bride erzählt einen Großteil ihrer Geschichte selbst, aber auch ihre Mutter und andere Figuren berichten Passagen aus ihrer Sicht. In dem gerade mal 200 Seiten kurzen Roman wird vieles nur angedeutet. Das macht es dem Leser nicht leicht, zumal die Handlung zwischendrin etwas zäh wird. Aber wie immer bei Werken von Toni Morrison lohnt sich die Mühe dranzubleiben.
Sommerlektüre
Toni Morrison: Gott, hilf dem Kind. Rowohlt Verlag, 208 Seiten, 19,95 Euro.