Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Küsten, Blüten, Frauen und Bewunderer
„Es lebe die Malerei“: Städel lässt die Freundschaft von Matisse und Bonnard hochleben
FRANKFURT - Die Ausstellung lädt zum Vergleich: Sie präsentiert 120 Bilder von Henri Matisse und Pierre Bonnard zu ähnlichen Motiven, Leihgaben aus den großen Museen der Welt.
Man will gar nicht mehr gehen. Beim Pressetermin ist eine Kollegin sogar im Geiste dabei, ihre Wohnung zu erweitern. Sie schafft Platz für dieses Bild, das da am Ausgang hängt. Ob man mal mit anpacken würde? Pierre Bonnards Spätwerk „Die sonnige Terrasse“ist ein Rausch in Rot und Blau. Die Côte d’Azur zu zeigen muss für den Maler nachrangig gewesen sein. Rosen und Meer leben ganz durch die Farbe. Das Bild ist jetzt in seiner ganzen Pracht im Städel zu sehen: Eine einmalige Gelegenheit, ansonsten ist es der Welt abhanden gekommen. Es gehört einem Privatsammler.
Für die Ausstellung ist es von zentraler Bedeutung. Henry Matisse hat es gesehen, als er Bonnard besuchte. Es war nicht fertig. Aber er teilte dem Freund seine Bewunderung postalisch mit: Er sehe das Bild immer noch vor sich. Bonnards Malerei habe er noch nie so geschlossen empfunden. Der Briefwechsel geht über 40 Jahre. Er beginnt 1925 mit einer Postkarte, die Matisse aus Amsterdam schickt: „Es lebe die Malerei“. Das ist der Titel der Schau, die das Städel zur Künstlerfreundschaft zeigt.
Die Idee folgt dem bewährten Konzept, den Bestand des Museums in Dialoge zu versetzen. Das Haus besitzt einen Matisse, das Stillleben „Blumen und Keramik“von 1913. Und einen Bonnard, den „Liegenden Akt“von 1909. Und dazu gibt es ein Pendant: Den „Großen liegenden Akt“, den Matisse 1935 gemalt und für 120 000 Francs an die Cone-Sisters in die USA verkauft hat. Die beiden emsigen Sammlerinnen, Nachkommen jüdischer Auswanderer aus Altenstadt an der Iller, gönnten sich noch 40 weitere Ölgemälde von Matisse und lieferten so den Grundstock für das Kunstmuseum in Baltimore. Ziel der Frankfurter Kuratoren Felix Krämer und Daniel Zamani war es, diese beiden Akte von Matisse und Bonnard erstmals zusammenzubringen.
Die Ausstellung will aber mehr. Indem sie die Künstlerfreundschaft beleuchtet, revidiert sie kunsthistorische Einschätzungen. Nicht solche, die in Frankreich vorherrschen. Dort sind Bonnard und Matisse gleichermaßen geschätzt. In Deutschland ist Matisse ein Publikumsmagnet, Bonnard ein Thema für Spezialisten. Der Kunstmarkt taxiert ähnlich. Die Kunstgeschichte verteilt die Maler, deren Geburtsjahre eng zusammenliegen, auf unterschiedliche Epochen. Bonnard, der sich den „letzten Impressionisten“nannte, kommt ins 19. Jahrhundert. Matisse mit seinem Zug zur Abstraktion rückt ins 20. vor.
Die Freundschaft der beiden, die das Städel so reichhaltig und konzeptionell gelungen ausbreitet, hat ihre Pointe darin, dass sie nicht auf einer Übereinstimmung beruht, sondern auf einer geradezu „programmatischen“Unterschiedlichkeit. Die vermittelt schon die Fotoserie im ersten Raum: 1944 besuchte der Fotograf Henri Cartier-Bresson die beiden Künstler an der Côte d’Azur. Bonnard lebt schlicht, Stockflecken zieren seine Wand, unschlüssig schaut er in die Kamera. Matisse zeigt sich in seiner Villa umgeben von Blumen, Teppichen und Bildern.
Die Ausstellung führt die Besucher in großzügige, lichte Räume, die nach Gattungen sortiert sind: Landschaften, Stillleben, Interieurs, Frauenbilder. Sie lädt ein, über den zugänglichen Matisse den schwierigeren Bonnard zu entdecken. Matisse gibt seinen Bildern eine grafische klare Struktur. Die Absicht dabei klingt, wie Krämer erzählt, etwas merkwürdig: Sie solle Beruhigung sein, ein Lehnstuhl, Entspannung fürs Gehirn. Bonnard bringt das Gehirn auf Trab: Seine Bilder schicken die Augen der Betrachter zwischen Innenräumen, Ausblicken und Spiegelbildern hin und her.
Spannende Akte
Spannend dürfte sein, wie nun eine für die Frauenbilder von Männern sensibilisierte öffentliche Wahrnehmung auf die Akte reagiert. Bonnard hat stets nur seine Frau Marthe gemalt, auf 400 Bildern, auf all den Badeszenen ist sie sein Modell, alterslos. Er malte sie noch, als sie schon gestorben war. Das stützt die These, Bonnard habe Erinnerungen und Fantasien gemalt. Matisse lebte auf großem Fuß, er machte die Moden der Zeit mit, bereiste Marokko: Seitdem sind Haremsdamen sein Motiv. Sein letztes professionelles Modell hatte dann noch einen so lockenden Namen, dass man an einen Kalauer nach James Bond denkt: Lydia Delectorskaja. Sie ist die „Große Liegende“aus Baltimore, die sich auf der Karodecke räkelt. Der einzige Fall, dass Matisse auf Bonnards Badeszenen eingestiegen ist.
Am erstaunlichsten, was nicht zu sehen ist: Viele Arbeiten stammen aus den 1940er-Jahren. Idyllen allesamt, sie zeigen keine Spur von Krieg und Besatzung. Die Bilder selbst haben schon andere Geschichten. Das Matisse-Stillleben hat das Städel 1962 in New York ersteigert. Es war schon einmal im Haus: bis 1937. Dann wurde es als „entartet“abgehängt.
Dauer: bis 14. Januar, Öffnungszeiten: Di., Mi., Sa., So. und Fei. 10-18 Uhr, Do. und Fr. 10-21 Uhr.