Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Die deutsche Traumfabrik
Ein Kino-Mythos wird 100 – Die Ufa zwischen Propaganda und Spektakel
Es war ein warmer Frühlingsabend, jener 3. März 1943. „Stalingrad“lag erst einige Wochen zurück, und kurz zuvor hatte der dämonische Propagandaminister Joseph Goebbels im Berliner Sportpalast seine berüchtigtste Rede ins Mikrofon der Volksempfänger gebrüllt: „Wollt ihr den totalen Krieg?“Jetzt stand der gleiche Goebbels, zivil im Abendanzug, vor dem Ufa-Palast am Zoo und gab sich charmant: Strahlend begrüßte er Hans Albers, den Star des Abends und durchaus kein ganz verlässlicher Geselle im Sinne der NS-Ideologie. Und Ilse Werner, die sich als holländische Staatsbürgerin wöchentlich bei der Gestapo melden musste, zugleich aber einer der größten Filmstars des Dritten Reichs war, Prototyp jener „modernen jungen Frau“, wie sie in Kriegszeiten nun gewünscht war: Selbstständig, im Hosenanzug aktiv zupackend, das Gegenstück zur passiv-schmachtenden „deutschen Mutter“. Auch Josef von Báky stand auf dem roten Teppich, ein weitgehend unbekannter Ungar, der mit kleineren Unterhaltungsfilmen derart erfolgreich war, dass man ihm die Regie dieses in jeder Hinsicht besonderen Films anvertraute. Denn was den Zuschauern an diesem 3. März 1943 bevorstand, waren ungesehene Bilder, wie den Ritt Hans Albers’ auf der Kanonenkugel, der in seiner technischen Perfektion noch heute sprachlos macht, atemberaubende Tricks wie ein Ballonflug zum Mond. Es war erst der dritte deutsche Farbfilm, gedreht im prächtigen Sattbunt des neuen Agfacolor.
Vor allem aber war „Münchhausen“der Jubiläumsfilm der Ufa zur Feier ihres 25-jährigen Bestehens. Unterhaltungskino für alle Schichten und viele Geschmäcker, dessen Qualität bis heute Bestand hat, und dem man nicht anmerkt, dass er zu einem Zeitpunkt gedreht wurde, in dem Deutschland bereits im Bombenfeuer versank. Eine Zeit, in der in den Lagern täglich Tausende ermordet wurden, und gerade neun Tage vor der Premiere die Geschwister Scholl in München geköpft worden waren.
Die Ufa stand immer für ein Kino der Massen, für anspruchsvolle Unterhaltung, die nur scheinbar unpolitisch war, aber tatsächlich auch mit großem Leinwandspektakel über die hässlichen Seiten der Wirklichkeit hinwegtäuschen sollte.
Ein gutes Vierteljahrhundert zuvor war genau das der Anlass zu ihrer Gründung gewesen:
1917, im dritten
Herbst des Ersten Weltkriegs, war das
Kino das neue Medium des Zeitalters. Generalstabschef
Erich Ludendorff wünschte dringend eine Waffe im Kampf um die öffentliche Meinung. So gründeten das Reich und die Deutsche Bank mit einem Stammkapital von 25 Millionen Goldmark die Universum-Film Aktiengesellschaft zur Produktion von Propagandafilmen. Eine Staatsgründung also, von Anfang an eng verbunden mit nationaler Politik, Kapitalinteressen und Propaganda. Der Krieg wurde auch durch das Kino nicht mehr gewonnen, aber für die Zukunft war die Ufa gut aufgestellt.
In der Republik machte man gleich weiter und schuf Exportschlager von der Stange: „Das Cabinet des Dr. Caligari“von Robert Wiene, Lubitschs „Madame Dubarry“, Langs Zweiteiler „Dr. Mabuse“und Murnaus „Der letzte Mann“(1924), für den Emil Jannings den allerersten Darsteller-Oscar gewann. Zur Schlüsselfigur dieses ersten UfaJahrzehnts wurde Erich Pommer: Der geniale Produzent entdeckte Künstler wie Fritz Lang. Er band die Genies aller Sparten an sein Unternehmen – Drehbuchautoren wie Carl Mayer und Thea von Harbou, Kameramänner wie Karl Freund und Eugen Schüfftan, versponnene Avantgardisten wie Walter Ruttmann. Außerdem organisierte er die Ufa in Potsdam-Babelsberg nach dem Vorbild Hollywoods – als eng verflochtene Verwertungskette aller Sparten: Produktion, Aufnahmestudios, Verleih, Kinokette. Und natürlich das Wichtigste, das Salz in der Suppe des Spektakel-Kinos, die Stars: Henny Porten, Asta Nielsen, Lil Dagover, Harry Piel, Conrad Veidt, später Lilian Harvey, Willy Fritsch, Heinz Rühmann und Marlene Dietrich.
„Die Ufa war das, was das deutsche Kino sonst nie hatte“, sagt Josef Schnelle, Filmwissenschaftler aus Köln, der für den WDR über die Ufa geschrieben hat: „Sie stand für industrielle Kinoproduktion. Zu ihren besten Zeiten produzierte sie 60 Filme pro Jahr, also mehr als einen pro Woche. Heute ist das europäische Kino eher gutes Handwerk, damals war es Fließbandproduktion.“
Für ein paar Jahre konnte die Ufa mit Hollywood mithalten, auch begünstigt durch die deutsche Wirtschaftskrise, die vergleichsweise billiges Produzieren erlaubte, und mit Werken wie „Die Nibelungen“, „Metropolis“ und „Der blaue Engel“sogar auf dem US-Markt reüssierte.
„Es gibt und gab auch später keinen dezidierten ,Ufa-Stil'“, sagt Schnelle, „Was es aber gab: technische Innovationen, die ihresgleichen suchten.“Tatsächlich bemühte man sich ständig darum, die Möglichkeiten des neuen Mediums auszuloten, und die Technik weiterzuentwickeln. So wurde die „Entfesselte Kamera“erfunden, um die enorm schweren Aufnahmegeräte in quasischwerelose Bewegung zu versetzen. In Murnaus „Faust“flogen die Bilder scheinbar über die Erde hinweg. Der „Schüfftan-Effekt“war ein kompliziertes Spiegelverfahren, um kleine Modelle lebensgroß wirken zu lassen – erstmals angewandt im Fall der Zukunftsstadt von „Metropolis“.
Alles änderte sich durch den Tonfilm. Zwar gelangen der Ufa ein paar Erfolge mit Mehrsprachenfassungen, bei denen der gleiche Stoff in Deutsch, Französisch und Englisch und mit Stars der jeweiligen Länder dreimal gedreht wurde. Doch bald setzte sich Hollywood durch.
Hinzu kam die totalitäre Gleichschaltung durch die Nazis ab 1933. Viele Stars arrangierten sich, doch die meisten der besseren Regisseure und Kameraleute gingen nach Paris oder Hollywood.
Bereits in der Wirtschaftskrise hatte der nationalistische Verleger Alfred Hugenberg den Konzern günstig übernommen und in seinem Sinne umgestaltet. Die Ufa war einer der Steigbügelhalter Hitlers. Genutzt hat es ihr wenig. Denn auch sie wurde zunehmend der rigiden Politik von Goebbels Reichsfilmkammer unterworfen. Sie wurde zur Maschine der Propaganda. Unter dem Namen Ufa fasste man bis 1942 alle deutschen Filmproduktionen zusammen, und der blaurote UfaRhombus wurde zum Synonym des deutschen Films.
Die neuen Erfolgsmenschen des NS-Staatskonzerns waren plumpe Propagandisten wie Karl Ritter, gerissene Opportunisten wie Wolfgang Liebeneiner, der bis 1945 Produktionschef war, und danach ungebrochen glänzende Karriere machte, und gewissenlose Künstler wie Veit Harlan, der mit Hetzfilmen wie „Jud Süß“, „Der Große König“und „Kolberg“selbst die Standards der Nazi-Propaganda noch überbot.
Flucht vor der Kriegsrealität
Als das Publikum die Premiere von „Münchhausen“feierte, konnte man sich für zwei Stunden aus einer Realität davonstehlen, in der es nichts zu lachen gab. Man konnte sich sogar vorgaukeln, in dem anarchistischen Filou und Hochstapler einem Widerständler zuzujubeln. Noch im März 1945 besuchten eine Vorstellung des Films über 1000 Zuschauer, während zeitgleich der Ufa-DurchhalteSchinken „Kolberg“nur von 80 Besuchern gesehen wurde.
Kurz darauf wurde die Ufa abgewickelt. Im Mai 1946 gründeten die Sowjets die Defa in den alten UfaStudios. 1956 wurde sie im Westen, wo man die meisten Akten und Teile des Vermögens in niedersächsischen Wasserschlössern gebunkert hatte, wieder gegründet. Nach einer kurzen Blüte, der kleine Meisterwerke des Nachkriegskinos wie Georg Tresslers „Das Totenschiff “und Helmut Käutners „Schwarzer Kies“zu verdanken sind, war man pleite. Die Konkursmasse wurde 1991 wiederbelebt – doch Wolf Bauers TV-Produktionen wie „Der Tunnel“und „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“sind nur eine Farce des alten Mythos. Vielleicht hat der neue Ufa-Chef Nico Hofmann ja genügend Kraft, Geschmack und Mut, über den eigenen Schatten zu springen, um den Kadaver dieses großen deutschen Kinostudios wieder zum Leben zu erwecken.
’’ Es gab technische Innovationen, die ihresgleichen suchten. Josef Schnelle, Filmwissenschaftler