Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
London erhofft Pragmatismus
Britische Sorgen und ein kurioser Debattenbeitrag
Dass Angela Merkel bei der Wahl am Sonntag als Bundeskanzlerin bestätigt wird, halten die Briten für selbstverständlich. Einer der wichtigsten Gründe dafür, schreibt Michael Taylor vom konservativen Thinktank Policy Exchange, sei „die Stärke der deutschen Wirtschaft“. Die Regierungschefin verkörpere „Zufriedenheit und Sicherheit“, kommentiert der linksliberale „Guardian“. Das komme den Deutschen entgegen.
Ähnlich geht es vielen Beobachtern auf der Insel. Manche wie die „Financial Times“erhoffen sich von Merkel mehr Führungsstärke, nicht zuletzt auf der globalen Bühne. Gerade das „gefährliche Benehmen“von US-Präsident Donald Trump gebe den Deutschen Anlass dazu, Merkels „vorsichtige Solidität“zu schätzen: „Die Aussicht auf eine erfahrene Führungsfigur für Europas mächtigste Nation ist ein einsames Licht in einer düsteren geopolitischen Landschaft.“
Ähnlich sehen es die politischen Macher, wenn sie sich auch völlig aus dem Wahlkampf herausgehalten haben. Merkels Wiederwahl werde den Weg für eine pragmatische BrexitLösung freimachen, hoffen Theresa May und ihre Minister. Allerdings gilt das persönliche Verhältnis der beiden mächtigsten Frauen Europas als unterkühlt.
Dem SPD-Spitzenkandidaten Martin Schulz begegnen viele Medien mit offener Skepsis, vor allem wegen seiner langen Jahre in Brüssel. Der Merkel-Herausforderer „könne kaum pro-europäischer sein“, schreibt Rebecca Lowe vom EUskeptischen Thinktank
Policy Exchange – schließlich habe er dem EU-Parlament fünf Jahre vorgesessen.
Für die neue Legislaturperiode hoffen viele
Briten auf ein Bünd- nis der CDU/CSU mit der FDP – „eine wirtschaftsfreundlichere Koalition in Berlin“werde dann, so Faisal Islam vom TV-Sender Sky, „die EUKommission an die Kandare“nehmen und damit den Brexit erleichtern.
Zu den Debattenbeiträgen gehörten auch Kuriositäten wie ein Essay im Wochenmagazin „New Statesman“. Dem Buchautor und Nietzsche-Kenner James Hawes zufolge verläuft die wichtigste innerdeutsche Grenze seit Karl dem Großen an der Elbe. Bei der Wahl gehe es vielen Deutschen darum, eine Wiederbelebung des nach Osten schauenden Preußentums zu verhindern: Viel wichtiger als der Brexit sei liberalen Deutschen die Bewahrung der Westorientierung des Landes. Die bemerkenswerte These nimmt allerdings Schaden durch zahlreiche Detailfehler: Laut Hawes lautet der Text der Nationalhymne noch immer „Deutschland über alles“, liegt Leipzig in Thüringen, sprechen Deutschlands östliche Nachbarn selten über die deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg – letzteres trifft jedenfalls auf die polnische Rechtsregierung gewiss nicht zu.
In den letzten Tagen vor der Wahl wiesen viele Artikel auch auf das Erstarken der harten Rechten in Deutschland hin. Die Anzeigenkampagne der AfD, hieß es bei Sky, stelle „eine Mischung aus Nationalismus, Fremdenhass und Frauenfeindlichkeit“dar. Die „Financial Times“wertete Äußerungen von AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel als „Echo der rechtsextremen ReichsbürgerBewegung“.
Die rassistische Kampagne der NPD gegen den schwarzen SPDAbgeordneten Karamba Diaby brachte die konservative „Times“zu der Feststellung, dass unter der Oberfläche in Deutschland „tiefe Gräben und Wut“existierten.