Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Die „Landshut“ist zurück
Frachtflugzeug bringt historische Maschine nach Friedrichshafen – Ab Oktober 2019 im Dornier-Museum
FRIEDRICHSHAFEN - Die Reifen quietschen. Die Turbinen dröhnen. Es sind die ersten Wehen der schwangeren Antonow, einem der größten Frachtflugzeuge der Welt. In ihrem Bauch: die „Landshut“. Die Lufthansa-Maschine gilt als Symbol des Deutschen Herbstes.
„Ich habe Gänsehaut“, sagt Diana Müll. Die damals 19-Jährige war eine der 87 Geiseln, die im Oktober 1977 an Bord der Boeing 737-200 von vier palästinensischen Terroristen entführt und fünf Tage später in der somalischen Hauptstadt Mogadischu von der deutschen Spezialeinheit GSG 9 befreit wurde. „Neben mir wurde der Pilot Jürgen Schumann hingerichtet“, erzählt sie am Samstag auf dem Rollfeld des Bodensee-Airports in Friedrichshafen, als die „Landshut“nach neun Jahren des Verrottens auf einem Flugzeugschrottplatz in Fortaleza (Brasilien) wieder nach Deutschland zurückkehrt. Auch die damalige Stewardess Gabriele von Lutzau, der Co-Pilot Jürgen Vietor und der GSG 9-Beamte Aribert Martin (siehe Interview unten) nehmen die „Landshut“in Empfang.
Ein 15-köpfiges Team der Lufthansa-Technik hatte die „Landshut“fünf Wochen lang unter freiem Himmel in mehr als 3000 Arbeitsstunden für den Abtransport vorbereitet: Turbinen ab, Tragflächen ab, Heckflossen ab. 8,5 Tonnen Werkzeug – teilweise speziell nur für Flugzeuge – mussten dafür nach Brasilien geflogen werden. „Ein einmaliges Projekt“, sagt Martin Brandes, Projektleiter der Lufthansa-Technik: „Wir haben Zeitgeschichte geschrieben.“
Konzept steht noch nicht fest
Weil der „Landshut“die Verschrottung drohte, kaufte die deutsche Bundesregierung sie für 20 000 Euro. Spätestens ab Oktober 2019 soll sie im Dornier-Museum in Friedrichshafen ausgestellt werden. Rund zehn Millionen Euro werden die Restaurierung und das passende, noch nicht feststehende Konzept drumherum kosten. Den Großteil soll der Bund übernehmen. Doch mit privaten Spenden soll das Projekt finanziert werden. Auch am Samstag wurde Geld gesammelt: 10 000 Euro. Es reiche nicht, die „Landshut“einfach nur nach Deutschland zu holen, sagt Müll: „Es muss auch jemand erklären, was darin passiert ist.“
Mit etwas Verspätung, um 9.21 Uhr, lieferte der ukrainische Frachter Antonow die ersten Teile der „Landshut“an: den Rumpf sowie die Heckflossen. „Das war ganz schön eng“, sagt Brandes. Die Antonow habe eine Höhe von 4,40 Meter, die „Landshut“sei 4,04 Meter hoch – dazu noch zwei Tragegestelle: „Fünf Zentimeter mehr und die ‚Landshut‘ wäre so nicht angekommen.“Für viele der rund 4000 Besucher entlang des Zauns war die Antonow deshalb wohl auch der eigentliche Star des Tages. Denn wann bekommt man schon mal ein Flugzeug zu Gesicht, in das ein weiteres Flugzeug passt? Auch den Abflug der Transportmaschine am Sonntag ließen sich viele Schaulustige nicht entgehen.
In einem zweiten Transportflieger vom russischen Flugzeughersteller Iljuschin, der gegen Samstagmittag eintraf, war der Rest der „Landshut“untergebracht: Turbinen, allerhand Schrauben, Rumpfinhalt und die Tragflächen. „Das Zusammenbauen wird noch länger dauern als das Zerlegen“, meint Brandes.
Um 11.49 Uhr startete quasi die Wiedergeburt der „Landshut“: Die Schnauze der Antonow ist geöffnet. Auf Schienen flutscht der Rumpf der heruntergekommen Maschine Millimeter für Millimeter aus dem Bauch des russischen Frachters heraus. Rund 100 Medienvertreter verfolgen das Entladungsspektakel. Zwei Kräne heben den Bauch der „Landshut“auf einen Tieflader. Der eskortiert das Objekt der Zeitgeschichte dann vorbei an den Zaungästen. Smartphones werden gezückt. Erinnerungen werden wach.
„Endlich ist sie da“, sagt Müll. Es ist ihre zweite Begegnung seit den Ereignissen vor bald 40 Jahren mit dem Ort, wo sie das bisher Schlimmste in ihrem Leben erlebt hat: „Dieser Gestank. Sie sitzen in ihrem Stuhl und lassen alles laufen. Kein Essen, fast kein Trinken. Die Pistole an der Schläfe, der Knauf wird an den Kopf gehauen. Das kann man nicht in Sätze fassen.“
Dennoch besteht sie darauf, dass die „Landshut“wieder so hergerichtet wird, wie sie damals aussah. „Sonst macht das keinen Sinn“, sagt Müll. Wichtig sind ihr dabei die Details: „Unser weißes Läppchen“, erzählt sie. Gemeint ist das weiße Tuch auf der Kopfstütze. „Damit haben wir fast alles gemacht.“Taschentücher oder ähnliches hatten sie keine dabei.
„Fünf Zentimeter mehr und die ‚Landshut‘ wäre so nicht angekommen.“
Denn der Flug sollte ja eigentlich nur von Palma de Mallorca nach Frankfurt am Main gehen. Wenn die „Landshut“dann restauriert ist, werde die Begegnung mit ihr „schwieriger“, so Müll. Davor habe sie dann sogar auch etwas Angst.
Trotz aller Erinnerungen habe sie es inzwischen aber geschafft, im normalen Leben zu funktionieren. Zehn Jahre habe sie dafür gebraucht. Wenn sie manchmal mit Gedanken an die „Landshut“aufgewacht ist, habe sie den ganzen Tag schlechte Laune gehabt. Geholfen habe ihr eine Therapie sowie das Erlebte aufzuschreiben, Lesungen zu geben und Schulen zu besuchen. Unterricht zum Anfassen. „Jetzt stehe ich auf, denke an die Landshut und freue mich.“
Martin Brandes, Projektleiter der Lufthansa-Technik.
Videos, Bilder, 360-GradAufnahmen und einen Live-Ticker zur Ankunft zum Nachlesen sowie alles zum Thema „Landshut“finden Sie im Internet unter schwaebische.de/landshut