Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Stockende Brexit-Verhandlungen lösen Verzweiflung aus
Auch der Beginn der jüngsten Brexit-Gesprächsrunde am Montag war von wenig Zuversicht geprägt. Die britische Regierung trifft Vorbereitungen für einen EUAustritt ohne neues Abkommen mit Brüssel. Das sagte Premierministerin Theresa May am Montag im britischen Parlament. Obwohl es „fundamental“im Interesse Londons liege, dass die Austrittsverhandlungen erfolgreich seien, sei es die Verantwortung der Regierung „für alle Eventualitäten vorzusorgen“, so May.
Dass die Briten gern, wenn auch nicht immer sonderlich erfolgreich Ball spielen, hat sich in ihrer Sprache niedergeschlagen. Der Ball sei nun auf Seiten der EU, teilte May dem Unterhaus mit, schließlich habe sie mit ihrer Rede in Florenz den verbleibenden 27 Mitgliedern Zugeständnisse gemacht. Für eine künftige Partnerschaft zwischen beiden Seiten sei nun „Führung und Flexibilität“auch von Seiten der EU nötig. Die Antwort aus Brüssel ließ nicht lange auf sich warten: Der Ball sei noch immer bei den Briten – mal abgesehen davon, daß es sich bei den Brexit-Verhandlungen um kein Ballspiel handele. Der EU-Gipfel am 19. und 20. Oktober soll entscheiden, ob „ausreichend Fortschritt“gemacht wurde, um die zweite Phase der Verhandlungen einzuleiten. Das gilt derzeit als unwahrscheinlich.
Dies alles sorgt zunehmend für Verzweiflung in der Wirtschaft. Andrea Orcel vom Londoner Investmentgeschäft der Schweizer Grossbank UBS mahnte kürzlich dazu, er brauche eine Vereinbarung bis März nächsten Jahres. Sonst werde es zu einer „erheblichen“Abwanderung aus der City of London kommen. Britische Lobbyverbände argumentieren, das Zeitfenster sei noch kleiner: Um Planungssicherheit zu haben, müssten Finanzvorstände bis Ende diesen Jahres wissen, woran sie sind.
Auch auf dem Kontinent herrscht Alarmstimmung: Seine Mitglieder sollten sich auf „einen sehr harten Brexit“einstellen, mahnte vergangene Woche Joachim Lang vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Gemeint ist damit ein ungeordneter Austritt der Briten aus Binnenmarkt und Zollunion im März 2019 ohne eine Anschlussvereinbarung, die den reibungslosen Waren- und Dienstleistungsverkehr regelt.
Geringes Vertrauen
Offenbar pocht insbesondere Berlin darauf, die Briten sollten klarer darlegen, was genau hinter einem von Mays Florenzer Kernsätzen steckt: Die Insel werde ihre „während der Mitgliedschaft eingegangenen Verpflichtungen einhalten“. Genaue Zahlen werde man „zum jetzigen Zeitpunkt“nicht vorlegen, hat Brexit-Minister David Davis erklärt. Die brauche man auch nicht, erwidern Kenner der deutschen Position: „Aber wir müssen uns über die Berechnungsgrundlage einigen.“
Das Vertrauen in die (Überlebensfähigkeit der) May-Regierung ist auf dem Kontinent gering. Zumal der Streit in Kabinett und Fraktion anhält Um von den scharf kritisierten Manövern ihrer Galionsfigur, Außenminister Boris Johnson, abzulenken, schossen sich die EU-Feinde auf Finanzminister Hammond ein. Er stehe einem „erfolgreichen Brexit“im Weg. Torys wie der Ausschussvorsitzende Bernard Jenkin behaupten, es gebe „keinen echten Grund, warum der Brexit schwierig oder schädlich sein sollte“. Es handle sich um eine Verschwörung von EU, City of London und Industrieverbänden.