Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Uraufführung von „Die Himmelsleiter“
Oratorium in der Nikolaikirche ist musikalischer Abschluss des Reformationsgedenkens
ISNY - Zum dritten Mal im Jahr 2017, in dem Isny mit einem weit gespannten Bogen an kulturellen Veranstaltungen an 500 Jahre Reformation erinnert hat, wird die evangelische Nikolaikirche am Samstag, 21. Oktober, ab 20 Uhr zum Schauplatz einer Uraufführung: Hans-Christian Hauser, Leiter des Isny Opernfestivals, präsentiert mit seinem Ensemble seine neueste Komposition – das Oratorium „Die Himmelsleiter“. Im Gespräch mit SZ-Redakteur Tobias Schumacher gibt er Einblicke, welche Gedanken ihn bei Schöpfung und Inszenierung geleitet haben.
Hans-Christian Hauser, worauf darf das Publikum gespannt sein? In der schön proportionierten Isnyer Nikolaikirche wird das Oratorium szenisch – mit Kostümen, Bühnenbild und Beleuchtung – präsentiert. Wir zeigen einen Reigen von 13 biblischen Szenen der unvermittelten, direkten Berührung mit dem Himmel. Und mehr...
Was heißt das konkret?
Die schöne Luther-Übersetzung der Bibel wird mit der bildkräftigen Martin-Buber-Übersetzung und der überraschenden „Bibel in gerechter Sprache“konfrontiert. Diese Gegenüberstellung hat meine Kompositionen entzündet. Wobei mir wichtig war, sie phantasievoll, temperamentvoll, inspirierend zu gestalten, damit die Musik dem Publikum gefällt. Zu jeder der biblischen Szenen gesellt sich außerdem eine Szene aus den Werken Franz Kafkas. Ich finde, im Kontrast zu seinen rätselhaften, verfahrenen, aussichtslosen Situationen wird die „Gnade“der Berührung mit Gott in der Bibel erst richtig fühlbar. Und die Gnade war eines der Hauptthemen von Martin Luther.
Wie erfolgte der Bückenschlag von Luther zu Kafka?
Gnade ist der theologische Grundgedanke Luthers. Ich habe aber auch beobachtet, dass Franz Kafka die gleichen existenziellen Themen behandelt wie die berühmten Bibelszenen. Aber er sieht mit den Augen und fühlt mit Psyche und denkt die Gedanken des „modernen“Menschen. Diese Gegenüberstellung hat mich interessiert. Können Sie das genauer erklären? Man meint Kafka so zu kennen, als sehe er die eifrige Bemühung des Menschen aussichtslos, verstrickt, verhangen, verrätselt. In den Szenen aus der Bibel hingegen wird den Menschen Gnade geschenkt – als ein Gefühl, wie wenn an einem trüben, wolkenverhangenen, regnerischen Gebirgstag plötzlich die Sonne durchbricht. Aber auch bei Kafka gibt es Szenen, wo diese Sonne der Gnade schon ganz da ist, zum Beispiel in „Kinder auf der Landstraße“; und da, wo sich das Verhangene nicht öffnet, fühlen wir ganz intensiv die große Sehnsucht, dass es sich doch öffnen möge. Das ist das Bild, der Blick auf die „Himmelsleiter“– der übrigens nebenbei auch noch erweitert wird um einen überraschenden Blick auf eine verwandte Episode in islamischer Tradition.
Wie setzen Sie diese theologischphilosophische Gegenüberstellung in Szene?
Der Ort um die Kanzel der Nikolaikirche ist in unserer Inszenierung dem tüchtigen Ringen um Überset- zung und sprachlichen Ausdruck gewidmet. Luther als Übersetzer, der die deutsche Sprache maßgeblich prägte, wetteifert hier mit Martin Buber, dessen Anliegen es war, die Atmosphäre und Tiefe der hebräischen Worte möglichst energiegeladen ins Deutsche zu retten. Und sie wetteifern mit den modernen Übersetzern der „Bibel in gerechter Sprache“, die nicht nur provozieren will, sondern eine unserem derzeitigen Lebensgefühl entsprechende Sprache gefunden hat.
Und wo verorten Sie Kafkas Gedanken?
Kafkas Figuren spielen nahe am Publikum, „vor dem Altar“, als Bergsteiger: der tüchtige, unverdrossene, mit Rucksack, Taschenlampe und Schirm dem Wetter trotzende, sich einen Weg erkundende, auf sich allein gestellte, kleine Mensch... Das Gebirge ist ein klassischer Ort der Gottesbegegnung: Wir sind hier nahe am Himmel, und Effekte des Lichtes berühren uns. Den Gipfel zu erreichen erfordert Anstrengung und Entbehrung, die Luft ist dünner und klarer, die Perspektive ist geweitet, die Zivilisation entfernt...
...und ermöglicht so ein Wahrnehmen des Göttlichen? Wo findet das in der Kirche statt?
Das Einbrechen des Jenseitigen, des Unverfügbaren, des Göttlichen, der Gnade in die diesseitige Welt passiert dann im Chor der Nikolaikirche. Ein Segelschiff bricht durch die Wand der Kirche, mächtig getragen von Wind, Geist, von göttlicher Energie, von rätselhaftem Schwung, von Zauber.
Was hat Sie und Ihr Ensemble zum Oratorium inspiriert?
Wir stellen uns modernen theologisch-gesellschaftlichen Anforderungen unserer Zeit und möchten damit auch Brücken bauen. Ob Altes oder Neues Testament oder Koran: gemeinsam haben die Werke doch diesen Zauber der unvermittelten Gottesbegegnungen. Wir sind jedenfalls gespannt, was das Publikum über dieses spekulative Oratorium denkt und freuen uns hinterher über Rückmeldungen.