Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Leiden Kinder für den Friedhof?
In Altusried sind Grabsteine verboten, die durch „schlimmste Formen von Kinderarbeit“gebaut wurden
ALTUSRIED - Am Altusrieder Friedhof dürfen nur noch Grabsteine aufgestellt werden, die „nachweislich ohne schlimmste Formen von Kinderarbeit hergestellt worden sind“. Das hat der Gemeinderat beschlossen. Doch die Formulierung wirft Fragen auf: Warum nur „schlimmste Formen von Kinderarbeit“? Setzt sich die Gemeinde nun gegen Kinderarbeit ein? Oder erlaubt der Rat im Umkehrschluss Grabsteine aus Kinderarbeit, die nicht ganz so schlimm war? Wir haben nachgefragt.
„Wir haben nur das gemacht, was uns das Gesetz empfiehlt“, sagt Bürgermeister Joachim Konrad. Denn die Formulierung stammt aus dem Bayerischen Bestattungsgesetz. Dort ermächtigt Artikel 9a Gemeinden im Wortlaut, solche Regelungen zu beschließen. Dieser Artikel 9a bezieht sich mit seiner Formulierung ebenfalls auf ein anderes Regelwerk: Auf das Übereinkommen Nummer 182 der Internationalen Arbeitsorganisation – eine Organisation der Vereinten Nationen.
Dieses Übereinkommen schreibt fest, was unter „schlimmsten Formen von Kinderarbeit“zu verstehen ist. Das sind demnach Arbeiten, die voraussichtlich für die Gesundheit, die Sicherheit oder die Sittlichkeit von Kindern schädlich sind. Das Bayerische Gesundheitsministerium erklärt auf Anfrage, dass damit jeglicher Einsatz von Kindern bei der Herstellung von Grabsteinen ausgeschlossen ist. Denn solche Gefährdungen seien „bei jeder Art von körperlicher Arbeit von Kindern bei der Natursteingewinnung in Steinbrüchen der Fall“. Das würde heißen: Die Formulierung in der Altusrieder Satzung klingt zunächst verstörend, verbietet aber genau das, was sie soll – die Verwendung jeglicher Grabsteine, bei deren Produktion Kinder mitarbeiten mussten.
Allerdings könnte es sein, dass das Thema Kinderarbeit bei der Wahl eines Grabsteines trotzdem künftig eine Rolle spielt; auch wenn Angehörige von Verstorbenen in solchen Situationen vermutlich andere Sorgen haben. Doch bei der Herstellung von Grabsteinen gibt es auch Arbeiten, die wohl nicht zwingend schädlich für Sicherheit und Gesundheit sind. Etwa Schleifen und Polieren. Haben das Kinder erledigt, könnten die Grabsteine also künftig trotzdem zulässig sein in Altusried.
Siegel sollen Sicherheit bringen
Schleifen und Polieren sind jedenfalls die einzigen Arbeiten, von denen sich Konstantin Nieberle überhaupt vorstellen kann, dass Kinder sie erledigen können. Der Steinmetz arbeitet im Dietmannsrieder Familienbetrieb Stingl-Nieberle. Er sagt: Sein Betrieb arbeitet nur mit zertifizierten Lieferanten zusammen. Anhand solcher Zertifikate wird laut Konrad voraussichtlich auch der Markt Altusried kontrollieren, ob die neue Regelung eingehalten wird.
Steinmetz Nieberle bleibt nichts, als auf die Siegel zu vertrauen. Denn als kleiner Betrieb sei es schwierig, die Produktionsbedingungen etwa in Indien nachzuvollziehen. Aber auch praktische Gründe untermauern sein Vertrauen: Feine Schleif- und Polierarbeiten lasse sein Betrieb nur in Deutschland ausführen.
Grabsteine aus jeglicher Kinderarbeit auszuschließen, sei rechtlich laut Regierung nicht möglich gewesen, sagt Konrad. Eine Nachfrage beim Ministerium dagegen ergibt: Eine solche Formulierung ist möglich. „Das ist für mich ganz wichtig, dann können wir das berücksichtigen“, sagt Konrad. Im nördlichen Landkreis hat sonst keine Gemeinde solch eine Satzung, in Waltenhofen ist das am kommenden Montag Thema. Bevor die Altusrieder abstimmten, befand auch Christian Kaps (Freie Wähler) die Formulierung für unbefriedigend. „Es ist ein erster Schritt“, sagte Konrad: „So leisten wir einen Beitrag zu einer besseren Welt – einen kleinen.“
„So leisten wir einen Beitrag zu einer besseren Welt – einen kleinen.“Joachim Konrad, Bürgermeister in Altusried