Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Als Hexen auf dem Richtplatz verbrannten
In Waldsee wurden viele Frauen hingerichtet – Schutzsymbole und Aberglaube gibt es bis heute
BAD WALDSEE - Sie sollen für Unwetter und Krankheiten verantwortlich gewesen sein und einen Pakt mit dem Teufel eingegangen sein: Hexen. Die Hexenprozesse in Waldsee sind ein dunkles Kapitel der Stadtgeschichte, denn 54 Frauen und drei Männer wurden zwischen 1490 und 1645 auf dem Galgenbühl verbrannt. Für das damals kleine Städtchen mit vielleicht 500 bis 600 Seelen eine verhältnismäßig hohe Zahl. Zum Vergleich: In der Nachbarstadt Ravensburg wurden sechs Hexen hingerichtet. Zwar gibt es heutzutage keine Hexenbrände mehr in Oberschwaben, Aberglaube und Schutzsymbole sind jedoch in vielen Gedanken und Häusern immer noch zu finden, wie Waldsees Stadtarchivar Michael Barczyk weiß.
Fälle von Lynchjustiz
Vereinzelte Fälle von Lynchjustiz gegen sogenannte Hexen und Zauberer gab es schon im Früh- und Hochmittelalter. Der Glaube an Zauberei, Magie und Wahrsagerei war im einfachen Volk tief verwurzelt, die ausschließlich negative Bedeutung erhielten diese Dinge jedoch erst durch die Kirche, die Hexerei mit Ketzerei (Verleugnung Gottes) gleichsetzte und den Beschuldigten Teufelsbuhlschaft vorwarf. Demnach konnte sich der Teufel mit Frauen geschlechtlich vereinigen und mit ihnen einen Pakt zur Vermehrung des Bösen schließen, was sich in Schadenzauber äußerte – also Krankheiten oder Unwetter oder sonstiges Übel, für das die Frauen verantwortlich gemacht wurden.
Doch woher kam dieser Aberglaube, der sich sich so grausam äußerte? Eine Erklärung für die Endzeitstimmung dieser Zeit, in der der Glaube an übernatürliche Ursachen gedieh, könnte in den vorausgegangenen Ereignissen wie etwa den Bauernund Religionskriegen, Reformation und Gegenreformation und vor allem Naturkatastrophen liegen. Missernten, lange Winter, Überschwemmungen und Epidemien trafen die überwiegend von der Landwirtschaft abhängige Bevölkerung ins Mark. Mit den Hexen fand man einen Sündenbock.
Die systematische Hexenverfolgung begann 1486 mit dem berüchtigten „Hexenhammer“der Dominikaner Heinrich Institoris (1430-1505) und Jakob Sprenger (um 1435-1495). „Das war damals das meistgedruckte Buch nach der Bibel“, erklärt Barczyk. Der „Hexenhammer“war mit einem päpstlichen Vorwort versehen und diente den Hexenjägern als praktische Anleitung bei Verfolgung und Prozessen. „Wie ein Kochbuch mit detaillierten Rezepten“, erläutert Barczyk anschaulich. Eine bloße Verdächtigung reichte aus. Unter Folter sollten die Beschuldigten nicht nur ein Geständnis ablegen, sondern auch weitere Gespielinnen des Teufels preisgeben. „Das war ein Schneeballsystem. Allein 1586 wurden in Waldsee 17 Hexen verbrannt, das ist eine sehr hohe Zahl und der Höhepunkt der Hexenverfolgung“, erklärt Barczyk. In ganz Oberschwaben habe es in den 1580er-Jahren „sehr viele Hexenbrände“gegeben.
Sexueller Verkehr mit dem Teufel
Da „Hexenhammer“-Autor Heinrich Institoris ab 1480 in Ravensburg tätig war, begann die Hexenverfolgung in Oberschwaben früh. In Waldsee wurden von 1515 bis 1645 mindestens 54 Menschen Opfer von Hexenprozessen. Die grotesken Fragen beim Verhör handelten beispielsweise davon, wie oft die vermeintliche Hexe mit dem Teufel sexuellen Verkehr hatte und ob er sich dabei warm oder kalt angefühlt habe. Oder welchen Schadenszauber sie gewirkt und ob sie Gott sowie den Heiligen abgeschworen habe.
In Waldsee wurden die Hexen im Gerichtszimmer (heute Bürgermeister-Büro) und der Folterkammer (Blockhaus, heute Heizungsraum) abwechselnd gütlich und peinlich (Folter) befragt. Danach wurden sie auf einen Wagen gesetzt, denn oft konnten sie laut Barczyk nach der Folter nicht mehr aufrecht gehen, und zum Richtplatz auf dem Galgenbühl (hinter dem heutigen Sportpalast) gebracht. „Das war damals wie ein Volksfest, da war was los“, erklärt Barczyk. Auf dem Weg dorthin wurden sie dreimal mit glühenden Zangen misshandelt – beide Brustwarzen wurden weggezwickt und die Vagina damit verstümmelt. „Daran sieht man, wie frauenfeindlich dieser Aberglaube war.“Am Richtplatz angekommen wurden sie bei lebendigem Leib verbrannt. Mit fortschreitendem Zeitgeist stellten sich zwei weitere Phasen ein, in denen ihnen Pulversäcke umgebunden wurden, damit sie durch den Rauch erst ohnmächtig wurden. Später wurden sie erdrosselt, bevor sie verbrannt wurden. „Das war die humanste Phase“, weiß Barczyk.
Waldsee stach bei den Hexenverbrennungen unter den anderen vier vorderösterreichischen Donaustädten Riedlingen, Munderkingen, Saulgau und Mengen (die bis 1806 ebenfalls österreichisch waren und in vielen Belangen weitgehend das Schicksal der Stadt Bad Waldsee teilten) hervor. „Die Zahlen von Waldsee wurden dort bei Weitem nicht erreicht“, so Barczyk. Früher als woanders in Oberschwaben, nämlich schon 1702, endete in Waldsee die Zeit der Hexenverfolgung, 1776 wurde die Folter ganz abgeschafft. Das ehemalige Folterbuch aus dem Waldseer Rathaus mit detaillierten Abbildungen und Anleitungen kann im Übrigen im Stadtarchiv eingesehen werden.
Seit 2006 erinnert auf Beschluss des Gemeinderates die SibylleSchuler-Straße an die wegen „Hexerei“angeklagte Sibylle Schuler, die 1604 zum Tode verurteilt, stranguliert und anschließend verbrannt wurde.