Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
EU will sich nicht mehr auf die USA verlassen müssen
Der Aufbau einer europäischen Verteidigungsunion kommt in großen Schritten voran
BRÜSSEL - Mit dem Beitritt zur europäischen Verteidigungsunion verpflichten sich 23 EU-Länder, sich intensiv am geplanten europäischen Verteidigungsfonds zu beteiligen. Über ihn sollen noch vor Ende des Jahrzehnts erste gemeinsame Rüstungsprojekte finanziert werden. 23 EU-Länder haben das Dokument für eine ständige militärische Zusammenarbeit (Pesco) unterzeichnet. Sie verpflichten sich, Ausrüstung und Waffen gemeinsam zu ordern, bei Transport und Logistik eng zusammenzuarbeiten und mehr multinationale Eingreiftruppen zu gründen.
Alle bisherigen Versuche, die Verteidigungsanstrengungen besser abzustimmen, sind über Absichtserklärungen nie hinausgekommen. Unter dem Eindruck der unberechenbaren US-Außenpolitik und als Reaktion auf den Brexit ist der politische Wille nun deutlich größer.
Die nur noch kommissarisch arbeitenden deutschen Minister Sigmar Gabriel (Außenpolitik) und Ursula von der Leyen (Verteidigung) wurden gefragt, ob sie nicht eine mögliche Jamaika-Koalition vor vollendete Tatsachen stellen. Sie betonten daraufhin, sämtliche Ausgaben müssten auch künftig vom Bundestag gebilligt werden. „Wir sind ja alle, die Jamaika miteinander verhandeln, der Überzeugung, dass wir Europa besser voranbringen wollen“, sagte von der Leyen. „Preiswerter und billiger als das manchmal etwas chaotische und national egoistische Vorgehen der Vergangenheit wird das allemal“, meinte Gabriel. Wie mehrere ihrer EU-Kollegen nannte auch die europäische Verteidigungsbeauftragte Federica Mogherini die Unterschrift einen „historischen Moment“in der europäischen Verteidigungspolitik. Mehr als 50 Vorschläge für gemeinsame Projekte hätten die Mitgliedsstaaten bereits eingereicht. Das gehe von gemeinsamer Rüstungsbeschaffung über raschere Truppentransporte bis zu gemeinsamen Sanitätskommandos. Die Stärke der EU sei es, auf Bedrohungen zu reagieren, die nicht rein militärisch zu beantworten seien, zum Beispiel in Afrika. „Wir leisten den schwierigen Balanceakt zwischen Entwicklungshilfe und militärischer Intervention. Wir werden der Nato ermöglichen, sich stärker auf europäische Kapazitäten zu stützen. Die Einsparmöglichkeiten durch gemeinsame Investitionen werden die bestehende Investitionslücke wettmachen“, glaubt die Außenbeauftragte. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sieht das ähnlich. „Das stärkt die europäische Säule der Nato. Bliebe alles wie bisher, dann würden nach dem Brexit 80 Prozent der Nato-Ausgaben von Staaten außerhalb der EU aufgebracht“, sagte er. Frankreichs Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian erinnerte daran, dass der Prozess auf einen französisch-deutschen Vorschlag vom Herbst 2015 zurückgehe, unter dem Eindruck der Pariser Attentate und der Krimkrise.
Johnson: Briten als Strebepfeiler
Der österreichische Außenminister und vermutlich künftige Bundeskanzler Sebastian Kurz wurde gefragt, ob seine Unterschrift nicht der Neutralitätsverpflichtung der österreichischen Verfassung entgegenstehe. „Wir haben dazu einen gemeinsamen Ministerratsbeschluss“, sagte Kurz. „Unsere Neutralität bleibt gewährleistet. Eine stärkere Zusammenarbeit bei Sicherheit und Verteidigung kann für ganz Europa und uns mehr Sicherheit schaffen.“
Nur fünf Länder haben nicht unterschrieben: Malta, Portugal, Irland, Dänemark, Großbritannien. Der britische Außenminister Boris Johnson sieht die Rolle seines Landes bei Europas Verteidigung so: „Wir unterstützen das. Ich sehe uns wie einen dieser Strebepfeiler, die von außen angebracht werden, um die Kathedrale zu stützen.“