Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Juncker präsentiert Euro-Visionen
Vorschläge zur Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion auf dem Tisch
BRÜSSEL - Eine EU-weite Arbeitslosenrückversicherung, ein Eurofinanzminister, der gleichzeitig der EU-Kommission angehört, ein Europäischer Währungsfonds, der Krisenstaaten schneller und wirkungsvoller als der jetzige Rettungsschirm unterstützen soll – das sind die spektakulärsten Details des Reformvorschlags, den die EU-Kommission gestern in Brüssel vorgestellt hat. Inhaltlich kommt sie damit den hochfliegenden Plänen von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron auf halber Strecke entgegen. Vieles ist allerdings noch unausgegoren, und Preisschilder fehlen.
„Das Dach sollte man reparieren, wenn die Sonne scheint“, begründete Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gestern den Elan und das Tempo, mit dem seine Fachbeamten die Reformideen entwickelt haben. Europa hat sich wirtschaftlich erholt, die Zustimmungsraten zur Eurowährung sind so hoch wie seit vielen Jahren nicht mehr. Das scheint den Brüsseler Beamten ein guter Moment, um das System für die nächste Krise wetterfester zu machen. Die europäischen Regierungen dürften allerdings aus unterschiedlichen Gründen Vorbehalte haben. Und das EU-Parlament kommt in den Plänen nur am Rande vor.
Finanzierung bleibt offen
Auch über die Vorbehalte der Nettozahler, die keinesfalls mehr Umverteilung aus ihren Budgets in die kärglicheren Haushalte der südlichen Mitgliedsländer wünschen, geht die Kommission mit einem Schulterzucken hinweg. Zwar muss das Geld für eine Arbeitslosenrückversicherung, für einen Europäischen Währungsfonds und für einen neuen Investitionssicherungsfonds irgendwo herkommen. Preisschilder sollen aber erst im kommenden Mai angeklebt werden, wenn Brüssel einen Vorschlag macht, wie die nächste Finanzplanungsphase von 2021 bis 2027 aussehen soll. Der Streit ums Geld dürfte dann noch heftiger als sonst ausfallen, da Großbritannien als einer der größten Nettozahler in der nächsten Finanzierungsphase nicht mehr an Bord ist.
Deshalb, so Haushaltskommissar Günther Oettinger gestern, wird die von mehreren Regierungen als unverrückbar angesehene Budgetobergrenze von einem Prozent der nationalen Haushalte dann nicht mehr zu halten sein. „Ich rede aber nicht von zwei Prozent oder mehr. Wir haben gute Argumente für eine Aufstockung. Bei der letzten Krise waren wir nicht vorbereitet. Das war viel teurer, als jetzt sinnvoll zu investieren.“Den von Macron ins Spiel gebrachten eigenen Haushalt für die Eurozone hält Oettinger für politisch nicht durchsetzbar. „Der Haushalt muss einstimmig verabschiedet werden. Eine Verdoppelung oder Verdreifachung der bisherigen Beiträge würde von einigen Regierungen niemals akzeptiert werden“, glaubt er.
Striktere Haushaltskontrolle
Eine rote Linie ist in den Vorschlägen aber doch zu erkennen. Sämtliche Finanzinstrumente sollen so eingesetzt werden, dass sie reformunwillige Mitgliedsstaaten in Richtung Umstrukturierung drängen. Für Länder, die die Stabilitätskriterien nicht einhalten, sollen Mittel aus den Strukturfonds nur fließen, wenn sie sich zu „Zukunftsinvestitionen“in Bildung, Infrastruktur und Digitalisierung verpflichten und ein Reformprogamm auflegen, das sie von der EU-Kommission überprüfen lassen. Damit würde die Haushaltskontrolle durch die Brüsseler Aufsicht weiter verstärkt.
Sollte ein Mitgliedsland in wirtschaftliche Schieflage geraten, kann sein Eigenanteil an den Projektkosten auf null gesetzt werden. Ähnlichen Zwecken dient ein neuer „Stabilisierungsfonds“, der einspringt, wenn ein Land Schwierigkeiten hat, seine Kredite zu bedienen oder neue Kredite aufzunehmen. Dann soll der Fonds dafür sorgen, dass wichtige öffentliche Investitionen wie Straßenbau, Gesundheitswesen oder Bildung trotzdem fortgeführt werden können. Damit will man in Zukunft Situationen wie in Griechenland vermeiden, wo durch die strengen Sparauflagen genau die Staatsinvestitionen abgewürgt wurden, die dem Land neues Wachstum hätten bringen können.
Verhaltene Reaktion
Bundesfinanzminister Peter Altmaier (CDU) hat sich verhalten zu den Plänen der EU-Kommission geäußert. Er begrüße, dass die Behörde damit „Klarheit über ihre Vorstellungen“geschaffen habe, sagte Altmaier am Mittwoch in Berlin. Deutschland werde die Pläne nun „sehr sorgfältig, sehr konstruktiv und sehr selbstbewusst prüfen“. Altmaier kündigte gleichzeitig an, die Bundesregierung werde ihre Vorstellungen „im neuen Jahr“in den Reformprozess einbringen. Die FDP warnte mit Blick auf die Kommissionspläne vor einer „Schuldenunion“.