Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
EU beharrt auf erster Brexit-Einigung
Zunächst sah alles danach aus, als würde der letzte EU-Gipfel des Jahres am heutigen Donnerstag eine Routineangelegenheit. Vergangenen Freitag war die britische Premierministerin Theresa May zu einem Blitzbesuch nach Brüssel geeilt und hatte letzte Streitpunkte in den Brexit-Verhandlungen ausgeräumt. Danach erklärte die EUKommission, es seien nun ausreichende Fortschritte erreicht, um in die zweite Phase zu starten und darüber zu sprechen, wie eine Übergangsvereinbarung bis zum endgültigen Austritt Großbritanniens aus der EU aussehen könnte.
Dann aber ließ Brexit-Minister David Davis in einer Talkshow am Wochenende eine kleine Bombe platzen. Die von May eingeräumten Zugeständnisse hinsichtlich der Schlussrechnung und des für Nordirland anvisierten Sonderstatus seien nicht bindend. Sie stünden unter dem Vorbehalt, dass die EU nach der Trennung ein Handelsabkommen mit seinem Land schließe. Als sich die Worte bis Brüssel herumgesprochen hatten, schrillten dort die Alarmglocken. Die EU-Regierungen schrieben verschärfte Formulierungen in den Entwurf ihrer Abschlusserklärung, und das EU-Parlament verabschiedete eine Resolution, in der Davis sogar namentlich erwähnt wird – als einer, der das Vertrauensverhältnis zwischen beiden Seiten torpediere.
Die Aufregung ist verständlich. Immer deutlicher schält sich heraus, dass die britische Regierung das kanadische Muster im Sinn hat, also eine Art Beta, wenn sie von den künftigen Beziehungen zur Europäischen Union spricht. Auch EU-Chefunterhändler Michel Barnier erklärte kürzlich, wenn man alle roten Linien Londons berücksichtige, dann lande man direkt bei Ceta, dem europäisch-kanadischen Freihandelsabkommen. Das aber ist bis heute nur in Teilen ratifiziert, weil es über einige heikle Punkte wie die Schiedsgerichtsbarkeit in Handelsstreitigkeiten keine Einigung zwischen den Vertragspartnern gibt. Außerdem haben mehrere Mitgliedsländer und Regionen Vorbehalte angemeldet, weil sie fürchten, es könnten durch Ceta minderwertige Lebensmittel auf den europäischen Markt gelangen.
Ärger hat May auch im britischen Parlament: Mit knapper Mehrheit votierten die Abgeordneten am Mittwochabend für einen Gesetzeszusatz, der dem Parlament eine Abstimmung über jegliche Brexit-Vereinbarung mit der EU zusichert. Auch einige konservative Abgeordnete stellten sich dabei gegen May. May ihre erste Niederlage im Parlament. Die britische Regierungschefin kommt damit weiter unter Druck, diesmal von der EU-freundlichen Seite in ihrer Fraktion.
Streitpunkt Migration
Neben dem Brexit-Streit droht auf dem EU-Gipfel auch beim Tagesordnungspunkt Migration Ungemach. Ratspräsident Donald Tusk hat im Einladungsbrief an die Gipfelteilnehmer lapidar vermerkt, das von der EU-Kommission getestete System zur faireren Verteilung von Flüchtlingen habe sich nicht bewährt. Beim Abendessen wolle er deshalb Bilanz ziehen. Das könnte dem einen oder anderen sauer aufstoßen. Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopoulos jedenfalls geht die Sache so gegen den Strich, dass er bei einer Pressekonferenz in Straßburg erklärte, der Ratspräsident überschreite mit dieser Bemerkung seine Kompetenzen.