Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Was tun, wenn Ärzte Fehler machen
Monika Hauser hört Medizingeschädigten zu und gibt Tipps auf dem Weg zurück ins Leben
KLEINHASLACH - Das Telefon im Büro von Monika Hauser verknüpft Einzelschicksale in ganz Deutschland. Seit 2003 ist die „inkomplett“Querschnittsgelähmte erste Vorsitzende im 1995 gegründeten „Arbeitskreis Medizingeschädigter – Bundesverband e.V.“(AKMG), wie sich die Vereinigung nennt. In ihr haben sich Menschen zusammengefunden, nach deren Überzeugung Ärzten Fehler unterlaufen sind bei Operationen in Krankenhäusern oder ambulanten Praxen – mit teils gravierenden Folgen.
Das dritte Programm des SWFFernsehens plant am heutigen Donnerstag, 14. Dezember, in der Sendung „Odysso“ab 22 Uhr einen Beitrag über den AKMG, dessen Bundesgeschäftsstelle an der Salzstraße 18 in Kleinhaslach zu finden ist. Rund um Isny gebe es sieben Mitglieder, von denen eine in der Sendung als Betroffene zu Wort kommt.
Autor des Beitrags ist der auf Medizinthemen spezialisierte Redakteur und Autor Frank Wittig, zu dem sie seit 15 Jahren Kontakt habe, erzählt Hauser. Pressearbeit sei eine ihrer Hauptaufgaben. Sie möchte die Öffentlichkeit sensibilisieren für Behandlungsfehler, aufmerksam machen auf Menschen und ihre Schicksale. Seit Jahren kenne sie einen Redakteur bei der größten deutschen Boulevardzeitung, dem sie Geschichten anvertraue. Immer wieder habe sie Betroffene an Fernsehsendungen vermitteln können wie „Hart aber fair“oder „Mona Lisa“.
Anwaltshotline und Sprechstunde Die zentrale Frage, die sie indes zu beantworten versucht, sei: „Woher bekomme ich Hilfe?“Jeden letzten Donnerstag im Monat bietet der AKMG unter der Telefonnummer 07562 / 3995 eine kostenfreie „Anwalts-Hotline“an. Außerdem ist jeden ersten Dienstag im Monat von 14 bis 15.30 Uhr ein Anwalt für eine „Fragestunde“im Büro in Kleinhaslach. Beide Angebote seien „keine Rechtsberatung“, betont Hauser. „Wir werden nie jemanden in einen Prozess reintreiben. Wir haben gute Anwälte, eine deutschlandweite Anwaltsliste, aber ich werde nichts empfehlen“. Zur Vorbereitung sollten Interessierte „alles aufschreiben, Fakten – so um die zehn Punkte –, die wir dann gemeinsam abhandeln“.
Das AKMG-Büro bietet zudem jeden Dienstag und Donnerstag von 9 bis 11 Uhr und von 14 bis 16 Uhr vertrauliche Sprechstunden an. „Mein längstes Gespräch dauerte fünf Stunden“, erinnert sich Hauser. Sie höre zu und gebe verschiedenste Tipps rund um den „Tag X“– die missglückte Operation – und zu den Folgen: Wo ist es passiert? Wie hole ich Krankenunterlagen ein: den Operationsbericht, den Rehabilitationsplan? Ist eine gütliche Einigung mit dem Arzt denkbar? Wie kommt ein Alleinstehender mit 400 Euro Rente beim Sozialamt an einen Heizkostenzuschuss, einen neuen Wintermantel? Wo bekomme ich günstige, gar wirkungsvolle Hilfs- und Heilmittel? Wie ist ein Bett-Lifter zu beantragen? Geklärt werden soll zusammenfassend, „dass ich nicht um jedes Ding betteln muss.“
Oder sie beantwortet Fragen wie: „Nutzt mir ein Anwalt? Soll ich für einen Prozess gegen einen Arzt noch Geld drauf legen?“Den meisten Schicksalen sei gemein: „Erst verlieren die Menschen ihre Gesundheit, dann den Job, zum Schluss haben sie kein Geld mehr.“So fasst Hauser auch ihren eigenen Leidensweg knapp zusammen, den sie mit den rund 250 AKMG-Mitgliedern teile.
Eine halbe Million Betroffene
Die „Dunkelziffer“an Medizingeschädigten schätzt sie auf „zwischen 450 000 und 500 000 Betroffene“bundesweit. Dass nur ein halbes Promille davon Mitglied im Verein sei, liege schlicht daran, dass sich die meisten Menschen den Jahresbeitrag von 50 Euro nicht leisten könnten. Dass der AKMG dennoch existiert und arbeitet, liegt an der Person Monika Hauser, selbst auf Spenden kann sie nicht zurückgreifen: „Letztes Jahr bekamen wir 35 Euro“, sagt sie sarkastisch.
Wie ihr „schwarzer Humor“sie überhaupt durch die letzten 21 Jahre gerettet habe. Am „Tag X“war sie 44 Jahre alt, stand als Kassiererin im Berufsleben. Nach mehreren Bandscheibenvorfällen habe ein Facharzt geraten, eine Schmerzpumpe implantieren zu lassen. Er habe gesagt: „Das ist eine kurze OP, eine halbe Stunde, zwei Tage später können Sie wieder über Gräben springen.“
Aufgewacht sei sie im Krankenwagen auf dem Weg ins Isnyer Krankenhaus, wo sie acht Wochen lag und „ab der Brust abwärts nichts mehr gespürt habe“. Monatelange RehaMaßnahmen folgten. Rückkehrhilfen ins Leben – wenn davon überhaupt gesprochen werden kann – hießen: „Toilettensitzerhöhung, Inkontinenzhilfe, Bett-Lifter“. Und die unendliche Geduld und Hilfsbereitschaft von Ehemann und Familie.
Im Gegensatz zu ihr selbst fänden „99 Prozent der Betroffenen nicht mehr aus dem Loch“. Einmal, weil Ärzte – die sie „nicht verteufeln“wolle, „jeder Mensch macht Fehler“(Hauser) – nicht zu ihrem Versagen stünden. Zum anderen, weil sich Familienangehörige abwenden, Ehen scheitern: „Lass’ mich mit Deiner Krankheit in Ruhe“, heiße es viel zu oft, sagt Monika Hauser.
Woher sie ihren Lebensmut nimmt? Aus der Arbeit im AKMG. Und: „Ich kann die Hände bewegen, kann sehen, backen, kochen, Handarbeiten machen – aber ich weiß nicht, wie viele hundert Paar Socken ich inzwischen gestrickt habe“.