Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
EU droht Polen mit Sanktionen
EU-Sanktionsverfahren gegen Polen wegen Gefährdung von Grundwerten
BRÜSSEL (dpa) - Polen muss sich als erstes EU-Land einem Verfahren wegen Gefährdung von Grundwerten der Gemeinschaft stellen. Grund ist der Umbau der Justiz durch die nationalkonservative Regierung in Warschau. Die EU-Kommission sieht den Rechtsstaat in Gefahr und beantragte am Mittwoch, dass sich der Rat der EU-Länder mit Sanktionen befasst. Polen zeigte sich unbeeindruckt: Präsident Andrzej Duda unterzeichnete am Mittwoch zwei umstrittene Reformen.
BRÜSSEL - Zum ersten Mal in der Geschichte der Europäischen Union ist am Mittwoch Artikel 7 des EU-Vertrags in Gang gesetzt worden. Schon im Juli hatte der dafür zuständige Vizepräsident der EU-Kommission Polen mit diesem Schritt gedroht, sollte die Regierung damit fortfahren, die Justiz unter ihre Kontrolle zu bringen. Am Mittwoch sagte Frans Timmermans: „Unsere Bedenken sind gewachsen. Innerhalb von zwei Jahren hat die polnische Regierung 13 Gesetze verabschiedet, die Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung in Gefahr bringen.“Timmermans kritisierte vor allem, dass die Regierung nun das Recht habe, Richter in den Vorruhestand zu schicken und Gerichtspräsidenten nach Gutdünken benennen und absetzen könne.
Wie alle Sanktionssysteme der EU besteht auch dieses aus vielen Stufen und wird sich lange hinziehen. Es dient ja weniger dazu, am Ende Polen seiner Stimmrechte im Rat zu berauben. Vielmehr soll so viel öffentlicher Druck erzeugt werden, dass die von Jaroslaw Kaczynski gelenkte Regierung die Justizreform rückgängig macht. Als nächster Schritt müssen nun eine Mehrheit im EU-Parlament und 22 der 28 Regierungen (Vier-Fünftel-Mehrheit) feststellen, dass „das Risiko einer gravierenden Verletzung der Werte der Europäischen Union“besteht.
Ungarn kündigt Veto an
Im Europaparlament dürfte sich vermutlich nur die euroskeptische Fraktion ECR, der neben der PiS auch die britischen Torries angehören, und die Rechtsextremen gegen das Verfahren aussprechen. Komplizierter ist die Lage im Rat der Regierungen. Ungarn, dessen Regierung ebenfalls die Freiheit von Justiz und Medien beschneidet und deshalb gleichfalls ins Visier der EU-Kommission geraten ist, hat die Entscheidung der EUKommission für die Einleitung eines Grundwerteverfahrens gegen Polen scharf kritisiert und ein Veto im EURat angekündigt. „Das ist beispiellos und unfassbar“, erklärte Vize-Ministerpräsident Zsolt Semjen der staatlichen Nachrichtenagentur MTI. Hinzu kommt, dass Ratspräsident Donald Tusk selbst aus Polen stammt. Er gehört zwar der liberalen Partei an, überraschte aber kürzlich damit, dass er sich im Konflikt um die gerechte Verteilung von Asylbewerbern auf die osteuropäische Seite schlug. Schließlich übernimmt zum 1. Januar Bulgarien die Regie im Rat und wird sich nicht durch Übereifer auszeichnen, wenn es darum geht, ein anderes osteuropäisches Land an den Pranger zu stellen. Timmermans wehrt sich gegen Medienberichte, in denen die Prozedur nach Artikel 7 als „Atombombe“im Sanktionsarsenal der Brüsseler Behörde bezeichnet wird. Es gehe vielmehr darum, dass sich die anderen Regierungen und das EU-Parlament in einem geordneten Verfahren selbst einen Überblick darüber verschafften, wie es mit der Rechtsstaatlichkeit in Polen aussehe. Man gebe der Regierung außerdem noch drei Monate Zeit, um ihre Gesetze zu revidieren und in einen Dialog mit der Brüsseler Behörde zu treten.
Duda billigt weitere Reformen
Kurz nach der Beantragung eines Strafverfahrens gegen Polen durch die EU-Kommission sind in dem Land zwei weitere umstrittene Justizreformen in Kraft getreten. Staatspräsident Andrzej Duda unterzeichnete zwei Reformen, die das Oberste Gericht und den Nationalen Justizrat betreffen. Die polnische Opposition und die EU sehen darin eine Einschränkung des Rechtsstaates und der Gewaltenteilung.
Alle Beteiligten wissen, dass es zum Äußersten – dem Verlust des Stimmrechts im Rat – nicht kommen wird, solange in Ungarn Victor Orban regiert. Für diese nächste und letzte Stufe des Verfahrens reicht zwar im Europaparlament erneut eine einfache Mehrheit, im Rat aber muss einstimmig entschieden werden. Lediglich das betroffene Land stimmt nicht mit.
Es sei die Stärke der EU, dass sich jeder, ob arm oder reich, ob aus West- oder Osteuropa, darauf verlassen könne, dass ihn die Justiz vor politischer Willkür schütze, sagte Timmermans. Das garantiere auch, dass die Regeln des Binnenmarkts überall gleich interpretiert würden und die Wirtschaft Rechtssicherheit für ihre Investitionen habe. Das Institut „Jacques Delors“hat daran erinnert, dass Polen jährlich 17 Prozent seines BIP an europäischen Fördermitteln erhält. Die zu kürzen sei wohl wirkungsvoller, als langwierige Vertragsprozeduren in Gang zu setzen. Vielleicht besteht der richtige Weg aber auch darin, das eine tun, ohne das andere zu lassen.