Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Chamenei wittert Irans Feinde am Werk
Weiter Proteste gegen die Führung in Teheran – Arabische Staaten bejubeln Demonstranten
LIMASSOL - Es dauerte sechs Tage, bis Irans Revolutionsführer Ali Chamenei in einer dünnen Twitter-Meldung die regimekritischen Demonstrationen in seinem Land kommentierte. Wie von den meisten Beobachtern erwartet, beschuldigte der oberste iranische Geistliche „Feinde des Irans“, die Proteste in seinem Land geschürt zu haben. Ohne sie beim Namen zu nennen, warf Chamenei ihnen vor, Geld, Waffen und Geheimdienstapparate eingesetzt zu haben, um Probleme für das islamische System zu schaffen. Noch einen Tag zuvor hatte der iranische Staatspräsident Hassan Rohani ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es ein schwerwiegender Fehler wäre, die Proteste als ausländische Verschwörung einzustufen.
Die Probleme der Menschen seien nicht nur wirtschaftlicher Natur. Das iranische Volk fordere auch größere Freiheiten, erkannte Rohani, der sich mit seiner Kritik deutlich vom Schwarz-Weiß-Denken der Hardliner abgrenzte. Noch ist es nicht klar erkennbar, ob eine von Rohani entworfene Deeskalationsstrategie, zu der auch teilweise die Aufhebung der Internet-Blockade gehört, die gewünschten Ergebnisse bringt. Nach Berichten staatlicher Medien kamen in der Nacht zum Dienstag sechs weitere Demonstranten, ein Polizist und ein Revolutionswächter ums Leben. Die Zahl der Toten bei den größten Massenprotesten in Iran seit dem Sommer 2009 hat sich damit auf mindestens 20 erhöht – und damit eine gefährliche Größe erreicht.
Weitere Opfer können womöglich jene unkalkulierbare Dynamik auslösen, die vor 40 Jahren zum Sturz des Schahs führten. Das wissen die Regierenden ebenso wie die Demonstranten, unter denen es auch solche gibt, deren Ziel eine weitere Eskalation der Proteste mit möglichst hohen Opferzahlen ist.
Mitglieder der iranischen Volksmudschahedin (MKO), einer neostalinistischen Oppositionsgruppe, die einst von Saddam Hussein unterstützt wurde, übernahmen inzwischen die Verantwortung für Überfälle auf Polizeistationen und stellten entsprechende Videoclips ins Internet. Diese wurden in den letzten Tagen zehntausendfach weitergeleitet. „Der Sturz des Teheraner Regimes“, so die Botschaft, sei jetzt nur noch eine Frage von wenigen Wochen.
Vor allem auf der arabischen Halbinsel haben die anhaltenden Proteste in Iran eine Welle der Euphorie ausgelöst. Der saudische Fernsehsender al-Arabija verbreitete am Dienstag ein angebliches Geheimdokument, dem zufolge die geistliche Führung von Iran mittlerweile „in Panik“geraten sei und die „höchste Alarmstufe“ausgegeben habe. Als Alternative zu Revolutionsführer Chamenei nennt der Sender die MKO-Führerin Maryam Rajavi, die nicht nur wegen ihrer Zusammenarbeit mit Saddam Hussein in Iran höchst unpopulär ist.
Dass es sich bei dem von al-Arabija verbreiteten „Geheimdokument“um eine Fälschung handelt, ist offensichtlich. „Fake News“sind fester Bestand der Propagandaschlacht, die gegenwärtig zwischen Iran und Saudi-Arabien tobt. So bat der Chef des „Institute for Gulf Affairs“in Washington, Ali al-Ahmed, den amerikanischen Präsidenten Donald Trump ein Video von einer angeblich 300 000 Personen starken Demonstration für Demokratie in Iran weiterzuleiten. Tatsächlich handelte es sich bei dem Clip um Aufnahmen aus Bahrain, wo 2011 Zehntausende Schiiten gegen das sunnitische Königshaus auf die Straße gegangen waren.
Für die iranischen Hardliner sind derartige „Fake News“der Beweis für jene „ausländischen Einmischungen“, die am Dienstag auch Revolutionsführer Ali Chamenei anprangerte. Wasser auf die Mühlen des Geistlichen sind auch Stellungnahmen der Europäischen Union, Großbritanniens und der USA, in denen die iranische Führung dazu aufgerufen wird, das Recht des iranischen Volkes auf friedliche Meinungsäußerung zu akzeptieren.
Im Gegensatz zu den Europäern, die mit der Regierung Ruhani weiterhin zusammenarbeiten wollen, strebt US-Präsident Trump einen „Regime Change“in Teheran an und bekräftigt diese Forderung fast täglich mit entsprechenden TwitterBotschaften.