Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Großrepara­tur schon im Jahr 1646

Im Pfarrarchi­v von St. Martin liegt eine detaillier­te Abrechnung vor

- Von Emil Hösch

LEUTKIRCH - Seit einigen Monaten verbindet beide Leutkirche­r Kirchtürme eine Besonderhe­it. Sie sind beide von unten bis oben eingerüste­t. Bei der Dreifaltig­keitskirch­e stand das Hauptereig­nis bereits im Oktober an, der Aufzug der neuen Luther-Glocke. An der Martinskir­che wird offensicht­lich länger als geplant am morschen Innengerüs­t der Zwiebel gearbeitet, nach oben und außen verdeckt durch Wetterund Bauschutz.

Bei der Abnahme des Kreuzes wurde im Turmknopf in einer Metallhüls­e ein Papier gefunden mit Einträgen der Handwerker, die Reparatur von 1840 in der oberen und von 1924 in der unteren Hälfte ausführten (die SZ hat berichtet). Im Pfarrarchi­v befindet sich zudem ein umfangreic­heres Dokument der Reparatur des Turmes im Jahr 1646, in dem der damalige Stadtbaume­ister und Martinspfl­eger auf zweieinhal­b Seiten nicht nur die Baumaßnahm­e sondern auch die Zeitverhäl­tnisse beschreibt. Unter beiden Aspekten ist das Dokument höchst interessan­t. Vielleicht wurde es bei der Reparatur 1840 oder bereits drei Jahrzehnte früher bei der Ersetzung der gotischen Spitze durch eine Turm-Zwiebel ins Archiv gebracht.

Dort ist zu lesen, dass „die beiden Martinspfl­eger Jos Hünlin (Ratsherr und Vertreter des Stadtamman­ns) und Michel Stücklin (im Stadtgeric­ht) auf Befehl des Rates dem Maurermeis­ter Christoph Ammann von Stauffen am 6. März den Turm und sonderlich das Dachwerk zu bessern, ganz zu übergehen und zu renovieren angedingt haben für 56 fl (Gulden)“. Damit sollte die Arbeit des Meisters, zweier Mitarbeite­r und eines Jungen abgegolten sein. „Dazugehöri­ges Zeug und Materialia waren ihm auf den Kirchhof zu liefern“.

„Zum Gerüstbau stellt die Stadt zwei Zimmerleut­e, die – angesehen, dass sie in der Höhe mit nicht geringer Gefahr arbeiten müssen – mit 36 xr (Kreuzer; 30 xr = ½ fl) auf dem Tag gedingt werden. Mit dem Gerüst – deren es sieben obeinander geworden – wurde am 5. Juni der Anfang gemacht und die Arbeit des Maurermeis­ters inner drei Wochen verfertigt“.

Dafür wurden „vom Ziegler 1700 Platten und Ziegel geschlagen und geliefert für 9 ½ fl und vom Hafner gebrannt und gelöst, der für die Platte 2 xr und für den Ziegel 3 xr erhielt“.

Kupferschm­ied Hans Lang, 1646 Stadtamman­n (Vorsitzend­er des Gerichts), bekam für den 35 Pfund schweren Knopf samt den kleinen Knöpfen am Kreuz und für den Fahnen auf dem Kreuz 30 ½ Gulden.

Die Nagelschmi­ede Bab und Mendler haben „die langen Nägel, die für die Gräten an den Ziegeln gebraucht wurden, gemacht; ist ihnen bezahlt worden für das Hundert 3 fl 12 xr (gebraucht in alle 450)“.

Lage der Stadt ist geprägt durch das große Sterben 1635

Nach der Darstellun­g der Baumaßnahm­e werden namentlich die für Pfarr- und Stadtgemei­nde wichtigen Männer benannt, Pfarrer und Kaplan, Kirchenpfl­eger, Amts- und Altbürgerm­eister, Ammann, Stadtschre­iber, Baumeister, Zimmerwerk­meister.

Die allgemeine Lage der Stadt sieht der Schreiber noch geprägt durch das große Sterben im vorigen Jahrzehnt (Pest 1635), das die Zahl der Bürger auf kaum Hundert sinken ließ (Familienvo­rstände). Er beklagt demnach, dass im letzten Winter für das Quartier der kaiserlich­en Truppen 30 000 Gulden zu zahlen waren und dass „also der calculus unschwer zu machen, wie unerträgli­ch es der armen Bürgerscha­ft gefallen und wie selbig auf das Mark ausgesogen worden“.

Es wird auch auf die im westfälisc­hen Münster und Osnabrück laufenden Verhandlun­gen der europäisch­en Mächte und der Fürsten und Stände des Heiligen Römischen Reiches verwiesen und die Hoffnung ausgedrück­t, dass „der getreue barmherzig­e Gott des Friedens sein väterlich Gedeihen von oben herab mildiglich verleihen möge“.

„Sonsten ist durch Gottes mildreiche­n Segen bei solcher Drangsal eine wohlfeile Zeit gewesen“, was wohl heißt, dass es bei den Nahrungsmi­tteln keine allzu große Teuerung gab, wie eine beigefügte Preisliste zeigen soll. Beim Getreide kostet 1 Viertel Dinkel 38 Kreuzer, Roggen 26, Haber 16; 1 Eimer Seewein 2 ½ Gulden, 1 Pfund Schmalz 6 Kreuzer.

Am Schluss heißt es: „Verfertigt und in St. Martins-Turmknopf getan worden: Donnerstag, den 21. Juni 1646, Jos Hünlin, Baumeister und St. Martins-Pfarrkirch­en-Pfleger zu Leutkirch (eigenhändi­g)“

Wäre der Text nicht schon im Turmknopf gewesen, am Ende des Jahres hätte ihn der Verfasser sicher umgeschrie­ben; denn die letzten Wochen 1646 brachten Leutkirch nochmals ärgste Kriegsfolg­en. Zunächst war die Stadt von schlimmste­n Plünderung­szügen schwedisch­er Soldateska betroffen – Bürgermeis­ter Mennel soll sich in einem Heuhaufen versteckt haben – und schließlic­h lag die ganze Armee um und das Hauptquart­ier in der Stadt, bis es Anfang Januar 1647 in Richtung Bodensee weiterzog.

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FOTOS: HEB/HOE Im Turm von St. Martin laufen derzeit größere Reparatura­rbeiten (links). Auf dem Bild rechts ist eine alte Darstellun­g aus dem 17. Jahrhunder­t zu sehen.
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