Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Protestbewegung in Iran setzt auf Telegram
Bei der „Grünen Revolution“in Iran im Jahr 2009 gingen Tausende junge Menschen auf die Straße, um für Freiheit und gegen Präsident Ahmadinedschad und seine Regierung zu protestieren. Soziale Medien spielten damals noch eine untergeordnete Rolle, schließlich hatten nur wenige Demonstranten bereits ein Smartphone, um sich zu Demonstrationen zu verabreden oder Übergriffe von Polizei und Militär in Handyvideos zu dokumentieren.
Inzwischen verfügt mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Iran über ein Smartphone, geschätzt 48 Millionen Menschen – bei einer Gesamtbevölkerung von rund 80 Millionen. Und auf den meisten iranischen Smartphones ist der Telegram Messenger installiert. Telegram war zumindest zum Beginn der aktuellen Unruhen in Iran auch das mit Abstand wichtigste Kommunikationsmittel der Demonstranten. Allerdings versucht das Regime seit Tagen, Telegram und Dienste wie Instagram zu blockieren.
In Iran konnte sich Telegram auch deswegen durchsetzen, weil der Dienst zu keinem großen US-amerikanischen Internetkonzern gehört. Der Dienst wurde von den Brüdern Nikolai und Pawel Durow gegründet, die mit dem russischen FacebookKlon VKontakte reich geworden waren. Die Brüder kehrten 2014 ihrem Heimatland den Rücken, nachdem sie von russischen Sicherheitsdiensten bedrängt worden waren. Das aus dem Durow-Vermögen finanzierte Entwickler-Team reist seitdem quasi als digitale Nomaden durch die ganze Welt. Zu den Stationen zählen Singapur, London und Berlin. Für Anfragen staatlicher Stellen ist Telegram kaum zu erreichen.
Mit Telegram kann man zum einen ähnlich wie bei WhatsApp oder dem Facebook Messenger chatten, Fotos und Videos austauschen oder telefonieren. Die App ermöglicht weiterhin, ähnlich wie bei Twitter, bestimmte Kanäle zu abonnieren. Der zur Zeit in Iran besonders populäre Kanal „Sedaie Mardom“kommt auf 1,4 Millionen Abonnenten. Dort wird immer wieder zu bestimmten Protestaktionen in Iran aufgerufen. Außerdem werden dort Fotos und Videos veröffentlicht, die bei den Protestaktionen aufgenommen sein sollen. Die Authentizität lässt sich allerdings nur schwer überprüfen.
Ob man Telegram vertrauen kann, ist unter Experten, aber auch den Demonstranten in Iran umstritten. Unterdessen empfehlen Aktivisten wie der US-Whistleblower Edward Snowden den Umstieg auf die App Signal, die eine besonders wirksame Verschlüsselung der Kommunikation verspricht. Signal ist allerdings derzeit in Iran auch weitgehend gestört. Das liegt offenbar weniger an Zensurbemühungen, sondern an der Tatsache, dass Signal technisch unter anderem auf den Clouddienst AppEngine von Google aufsetzt, der wegen der US-Sanktionen nicht in Iran angeboten werden darf.