Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Ein Leutkircher in Venetien
Johann Matthäus Albrecht wanderte nach dem 30-jährigem Krieg in die Region aus
Dokumente belegen die Einflüsse eines ausgewanderten Apothekersohnes.
LEUTKIRCH - Eine besondere Beziehung zwischen Leutkirch und der Gemeinde Cavallino-Treporti im Großraum Venedig hat sich in den vergangenen Jahren aufgetan. Zu verdanken ist das Johann Matthäus Albrecht (1651 bis 1711), der in Leutkirch zur Welt gekommen ist und später unter anderem nach seiner Auswanderung als Arzt, Autor und auch Grundbesitzer in direkter Nachbarschaft so bekannter Städte wie Jesolo und Venedig Spuren hinterlassen hat, die nachwirken. Oberbürgermeister Hans-Jörg Henle hat darüber während des jüngsten Neujahrsempfangs berichtet und für viel Schmunzeln gesorgt. Doch die Geschichte besitzt auch sehr ernsthafte Aspekte aus jener Zeit.
Roberta Nesto ist Bürgermeisterin der Gemeinde Cavallino-Treporti mit knapp 14 000 Einwohnern, die wegen der vielen Campingplätze in der Region zu den Fremdenverkehrsorten mit den höchsten Übernachtungszahlen zählt. Die Lage am Rand der Lagune von Venedig macht den Ort so beliebt, den auch Leutkircher Camperinnen und Camper seit Jahren gerne ansteuern. Von „Giovanni Matteo Alberti“wussten aber die wenigsten bislang etwas. So wurde der Name des Apothekersohns aus Leutkirch später ins Italienische übersetzt. Andererseits gibt es im Archiv der italienischen Gemeinde wiederum einen Auszug aus dem „Stammbuch“mit dem Namen Johann Matthäus Albrecht. Eines stellt Henle klar: An der Städtepartnerschaft mit Castiglione will er nicht rütteln lassen. Aber seine ersten Begegnungen mit Roberta Nesti und den Venezianern haben ihn davon überzeugt, den Kontakt weiter pflegen zu wollen. Im September 2017 war Henle zum ersten Mal vor Ort und sollte dort kurzfristig bei einem Fest für den Leutkircher Einwanderer eine Rede halten. Es hat geklappt.
Denn Albrecht hat, so eine Aufstellung seiner Leistungen, in seiner neuen Heimat vieles bewirkt. Nach seiner Jugend in Leutkirch studierte er demnach nach Reisen innerhalb Deutschlands und Italiens in Padua Medizin, heiratete als Protestant in Venedig eine katholische Frau und praktizierte als Arzt. Als Agent des deutschen Herzogs Ernst August von Braunschweig organisierte er zudem im Jahr 1686 eine Regatta auf dem Canal Grande in Venedig. 1686 kaufte Johannes Matthäus Albrecht die Insel Cavallino in der Lagune Venedigs und kultivierte diese. So seien auch Landwirte aus dem Allgäu ihm gefolgt. Auf zuvor wenig brauchbarem Gelände bauten diese dort vorübergehend eine Pflanze an, die den Glasbläsern von Murano als Rohstoff für Pottasche diente.
Albrecht verfasste auch die Handschrift „Storia dell’Isola del Cavallino e sue coltivazioni“, die 2014 von Antonio Padovan neu herausgegeben wurde. Padovan hat sich davor mehrfach schon in Leutkirch auf Spurensuche begeben. OB Henle kann sich gut vorstellen, dass auch die Leutkircher Heimatpflege in naher Zukunft das Wirken des Apothekersohnes in fremden Gefilden beleuchten werde. „Ich bin beeindruckt, was damals, kurz nach dem 30-jährigen Krieg, an Kontakten innerhalb Europas möglich war“, sagt er. Vor allem im Bereich der Landwirtschaft habe der Mann aus dem Allgäu mit seinem Gespür für die Bedürfnisse der Bevölkerung auf der Suche nach Einkommensmöglichkeiten für die Entwicklung der Insel und der Gemeinde Cavallino wertvolle Beiträge geleistet. Das wird nahe Venedig immer noch geschätzt. So ist eine wichtige Straße in Cavallino nach Albrecht benannt.
Doch es existieren noch andere Parallelen. Das Wappen von Cavallino-Treporti ist in den Leutkircher Farben Blau und Gelb gehalten. Henle präsentierte beim Neujahrsempfang auch Aufnahmen, die Sonnenschirme am Strand in dieser Farbkombination zeigen. Zufall oder Absicht? Als großer Verfechter des europäischen Einigungsgedankens ist Henle sichtlich angetan von diesem Bezug zwischen dem Allgäu und der beliebten Ferienregion: „Ich finde, das ist ein Hammer.“