Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Gewalt gegen Polizei und Retter nimmt zu
Gewerkschaft muss immer mehr Mitgliedern Beistand in Schmerzensgeld-Prozessen leisten
STUTTGART - Die Deutsche Gewerkschaft der Polizei (DPolG) muss immer mehr Mitgliedern rechtlichen Beistand leisten, weil diese Opfer von Beleidigungen und Gewalt werden. Die Zahl der Rechtsschutzfälle in Baden-Württemberg nahm um ein Drittel auf 1000 Fälle im Jahr 2017 zu. „In rund 70 Prozent der Fälle geht es um Verfahren, in denen Polizisten beleidigt oder verletzt wurden“, sagte Ralf Kusterer, Chef der baden-württembergischen DPolG, am Dienstag der „Schwäbischen Zeitung“.
In Bayern waren es nach Angaben der Gewerkschaft 962 Rechtsschutzfälle insgesamt. „Über die Hälfte davon sind Schmerzensgeldprozesse, bei denen unsere Anwälte Polizisten zur Seite stehen, die beleidigt oder verletzt wurden“, sagte Rainer Nachtigall, Chef der DPolG Bayern, der „Schwäbischen Zeitung“. In den Vorjahren hätten diese Fälle nur zwischen 40 und 45 Prozent aller Rechtsschutzverfahren ausgemacht. Die Kollegen würden beschimpft, bespuckt, gebissen und geschlagen, heißt es aus Baden-Württemberg und Bayern unisono. Zunehmend werden von Anwälten Unterlassungserklärungen erwirkt, weil Polizisten in Sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter angegangen werden.
Baden-Württembergs Innenministerium geht davon aus, dass sich die Zahl der Polizisten, die Opfer von Straftaten im Dienst wurden, leicht erhöhen wird. 2016 zählte die Behörde knapp 9000 solcher Delikte, dabei wurden mehr als 5000 Beamte verletzt. Genaue Zahlen für 2017 liegen noch nicht vor.
Mit einem deutlichen Anstieg „im unteren zweistelligen Prozentbereich“rechnet das Haus bei Attacken auf Rettungskräfte. Diese wurden 2016 mehr als 140-mal attackiert, 2015 knapp 120-mal. Die Zahl der Straftaten an Feuerwehrleuten dagegen könnte 2017 sinken.
Bayern verzeichnete 2016 mehr als 7400 Fälle von verbaler und physischer Gewalt an Polizisten, ein Plus von sieben Prozent im Vergleich zum Jahr davor. 2380 Beamte wurden verletzt. Jeder zweite Polizist in Bayern war damit Opfer einer verbalen oder körperlichen Attacke. Die DPolG rechnet damit, dass die Zahlen in Bayern 2017 weiter gestiegen sind.
STUTTGART - Die Liste ist erschreckend. Anwohner, die Kochtöpfe mit Wasser auf Feuerwehrmänner fallen lassen, Betrunkene, die mit einer brennenden Mülltonne einem Löschfahrzeug den Weg versperren: Das sind nur zwei Fälle, die das Stuttgarter Innenministerium bei den Behörden erfragt hat. Das Fazit: Die Gewalt gegen Polizisten, Feuerwehrleute und Rettungskräfte nimmt zu.
Der Biberacher CDU-Landtagsabgeordnete Thomas Dörflinger hat die Umfrage bei den Polizeibehörden angestoßen. Er wollte vom Innenministerium wissen, wie oft Retter und Polizisten im Einsatz von Bürgern behindert worden sind. Dazu liegen zwar keine Statistiken vor. Doch die Polizei- und Regierungspräsidien im Land berichten allein seit Herbst 2016 von zehn gravierenden Fälle.
Beleidigt und bespuckt
Ralf Kusterer, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft DPolG in Baden-Württemberg, berichtet außerdem von nahezu täglichen kleineren Vorfällen. „Vorbeifahrende Autofahrer bremsen abrupt ab und fahren im Schritttempo an der Unfallstelle vorbei, halten das Handy aus dem Fenster, filmen und fotografieren“, sagt er. Damit gefährdeten die Gaffer sich und andere. Feuerwehrvertreter berichten Ähnliches.
Noch schlimmer: Immer häufiger würden Polizisten und Retter beschimpft, bespuckt oder körperlich attackiert. So hat die DPolG 2017 rund 1000 Mitgliedern einen Anwalt gestellt. Das ist ein Drittel mehr als noch im Jahr davor. „In Rund 70 Prozent der Fälle geht es um Verfahren, in denen Polizisten Opfer von Beleidigungen oder Gewalt waren“, sagt Kusterer.
Sein bayerischer Kollege Rainer Nachtigall kann den Trend bestätigen. Dort verzeichnet die DPolG 2017 rund 960 Rechtsschutzfälle. „Über die Hälfte davon sind Schmerzensgeldprozesse, bei denen unsere Anwälte Polizisten zur Seite stehen, die beleidigt oder verletzt wurden“, sagt Nachtigall.
„Das Filmen und Fotografieren von hilflosen Unfallopfern oder gar die Behinderung von Polizei und Einsatzkräften bis hin zur Gewaltanwendung machen mich fassungslos“, so Dörflinger. Bei einigen Fällen können aus seiner Sicht sogenanten Gafferschutzwände helfen. Diese sind in Bayern bereits seit Sommer in den Autobahmeistereien Herrieden und Münchberg im Einsatz. Die mit Planen bespannten Zäune können mehrere Hundert Meter Straße vor Blicken von Passanten schützen. Bislang wurden die Sichtschutzwände bei vier Unfällen eingesetzt. Ende 2018 will der Freistaat entscheiden, ob sich eine flächendeckende Anschaffung lohnt. Baden-Württemberg klärt Anfang Februar zunächst, welche Anforderungen der mobile Sichtschutz erfüllen muss. Das Verkehrsministerium wird dann nach geeigneten Produkten suchen. „Unser Ziel ist es, die Sichtschutzwände Mitte des Jahres einsetzen zu können“, erklärt ein Sprecher. Sie werden wie in Bayern bei den Autobahnmeistereien gelagert. Deren Mitarbeiter bringen sie dann zu einem Unfallort und bauen die Barrieren auf. Polizei und Feuerwehr begrüßen die Anschaffung. Doch wirklich lösen könnten sie das Problem nicht, meint Polizeigewerkschafter Kusterer. „Wirklich abschreckend wirken nur Strafen“, glaubt er. Wer gafft, Retter behindert oder gar angreift, muss bereits jetzt mit Bußgeldern oder gar Gefängnis rechnen. Die entsprechenden Gesetze wurden noch einmal verschärft. Doch das nutzt alles nichts, sagt Günter Wernz von der Feuerwehrgewerkschaft Kombat. „Wir würden uns wünschen, dass die Polizei unsere Hinweise auf solche Delikte ernster nimmt und sie konsequenter verfolgt.“
Doch meistens versandeten die entsprechenden Verfahren oder es werde gar nicht erst ermittelt. Das weiß auch Ralf Kusterer. „Uns fehlt schlicht Personal. Die Kollegen müssen sich vor Ort um die Opfer und den Unfall kümmern. Da bleibt keine Zeit, um Gaffer zu filmen oder Hinweisen nachzugehen“. Das müsse sich ändern, um Täter zu identifizieren und sie bestrafen zu können.