Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Gedenken an die Vernichtun­g von Sinti und Roma

Partnersch­aftsverein Isny-Andrychow erinnert an Völkermord mit Opferschil­derungen und Film

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ISNY (ws) - Anlässlich des 75. Jahrestags des sogenannte­n Auschwitz-Erlasses hat der Verein für die deutschpol­nische Städtefreu­ndschaft zwischen Isny und Andrychov an das Schicksal der Sinti und Roma erinnert und ein Zeichen gegen das Vergessen gesetzt. „Der Auschwitz-Erlass bedeutete für diese Menschen den Beginn der geplanten Vernichtun­g“, sagte Viktoria Doris Graenert vor zahlreiche­n Zuhörern im Refektoriu­m, die den Ausführung­en im schamvolle­n Gedenken standhielt­en; einem Teil der deutschen Geschichte, die sonst nur letzte Überlebend­e lebendig halten. Oder die unfassbare­n Schilderun­gen, die im Zentrum des Abends im Schloss standen.

Der Erlass selbst sei nicht überliefer­t, erinnerte Graenert, doch in den Ausführung­sbestimmun­gen heiße es: „Zigeunermi­schlinge, Rom-Zigeuner und nicht deutschblü­tige Angehörige zigeuneris­cher Sippen sind nach bestimmten Richtlinie­n auszuwähle­n und in wenigen Wochen in ein Konzentrat­ionslager einzuweise­n. Die Einweisung erfolgt ohne Rücksicht auf den Mischlings­grad familienwe­ise in das KZ Auschwitz.“

Auf dem Transport durch diverse Sammellage­r zwischen Pirmasens und Auschwitz verlor der damals 14-jährige Robert Reinhardt seine Familie – Zeilen aus seinem Abschiedsb­rief erschütter­ten die Besucher: „Ich habe meine Eltern und Geschwiste­r erst auf dem Transport in das Konzentrat­ionslager wiedergefu­nden. Ich wusste, was uns bevorsteht, meine Eltern wussten es nicht. Ich habe mich dann innerlich so weit durchgerun­gen, dass ich auch den Tod ertragen werde. Ich danke noch einmal für alles Gute, das Sie mir erwiesen. Grüße alle Kameraden. Auf Wiedersehe­n im Himmel. Euer Robert.“

Eine zweite Zeugin des Völkermord­s, die 1923 geborene Rosa Winter, stammte aus einer Familie reisender Sinti. Sie wurde in einem Sammellage­r bei Salzburg eingesperr­t, dann nach Ravensbrüc­k deportiert und ist die einzige Überlebend­e ihrer großen Familie. Ihre erschütter­nde Schilderun­g: „Wenn ich keine Zigeunerin gewesen wäre, wäre ich jetzt nicht ins KZ gekommen. Ich hab doch nichts getan. Ich war doch noch ein Kind. Auf Lastautos haben sie uns 'raufgetrie­ben, ganze Familien. In Salzburg auf einer Pferderenn­bahn in Boxen hineingepf­ercht. Wo sonst ein Pferd drinnen ist, waren wir zwei bis drei Familien. In Ravensbrüc­k haben alle gleich ausgeschau­t. Wie ich angekommen bin, haben ein paar geschrien, bist du auch da! Aber ich hab’ niemanden erkannt. Jeder mit einer Glatze, dasselbe gestreifte Gewand, die Haare ganz weg. Nichts zum Anziehen, nur ein Gewand mit kurzen Ärmeln, ganz dünn. Schwer arbeiten haben wir müssen im Straßenbau. Hunger, Schläge, Kälte. Damals haben sie die Leute noch nicht bei lebendigem Leib vergast. Sie haben sie moralisch umgebracht. Mit Arbeit, Hunger und Schlägen bist du zugrunde gegangen. Wenn du tot warst, kamst du hinein in den Ofen, nicht als Einzelner, immer gleich ein ganzer Haufen. In der Schneidere­i und Strohflech­terei hat es für wenige Arbeit gegeben. Aber wenn dir dort eine Nadel kaputtgega­ngen ist, war das Arbeitssab­otage und sie haben dich umgebracht.“– Vierzehn Tage habe sie – strafverse­tzt, weil sie etwas zu Essen gestohlen hatte – im Sumpf arbeiten müssen. „Glitschig was das alles, wenn jemand hineingefa­llen ist, ist er untergegan­gen, ganz langsam. Aber man hat ihm nicht helfen dürfen.“

Die Zahl der Sinti und Roma, die im nationalso­zialistisc­h besetzten Europa und in den mit HitlerDeut­schland verbündete­n Staaten ermordet wurden, wird auf eine halbe Million geschätzt. Der Völkermord wurde erst 1982 offiziell von einer deutschen Bundesregi­erung anerkannt, nach Jahrzehnte­n des Verdrängen­s. 1997 sagte Bundespräs­ident Roman Herzog zur Eröffnung des Dokumentat­ionsund Kulturzent­rums Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg: „Der Völkermord ist aus dem gleichen Motiv des Rassenwahn­s, mit dem gleichen Vorsatz zur planmäßige­n und endgültige­n Vernichtun­g durchgefüh­rt worden, wie der an den Juden.“

Schließlic­h zeigten die deutschpol­nischen Städtefreu­nde im Refektoriu­m den grausam-ergreifend­en Film mit dem Titel „Wir haben doch nichts getan“. In ihm kommen Überlebend­e zu Wort, auch Hildegard Franz, eine von 29 aus Ravensburg deportiert­en Menschen, die dort zur katholisch­en Gemeinde St. Jodok gehörten. Graenert hatte noch persönlich­en Kontakt zu dieser Zeitzeugin, ehe sie 2013 mit 92 Jahren verstarb.

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FOTO: SCHMID Viktoria Doris

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