Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Gewalt ohne Ende
Wieder werden Schüler Opfer von tödlichen Schüssen in den USA
WASHINGTON - Worüber in den Stunden nach dem Schulamoklauf mit 15 Toten und 17 Verletzten fast alle sprechen, die sich in Parkland vor ein Mikrofon stellen, das ist dieser merkwürdige Feueralarm. Kurz vor Unterrichtsschluss, nachmittags gegen halb drei, gingen in der Marjory Stoneman Douglas High School die Sirenen los. Merkwürdig, weil es an diesem Tag bereits das zweite Mal war. Stunden zuvor hatte die Schulleitung schon einmal üben lassen, wie man sich im Falle eines Brandes zu verhalten hat. Wozu die Wiederholung? Was keiner wissen konnte: Diesmal war es ein bewaffneter Eindringling, der den Alarm auslöste.
Mit dem Trick wollte Nikolas Cruz Schüler und Lehrer offenbar dazu bringen, ihre Klassenzimmer zu verlassen. Er wollte sie auf die Flure locken, wo er Rauchbomben zündete, bevor er das Feuer eröffnete. Cruz habe eine Gasmaske getragen, er habe auf seine Opfer geschossen, als die überrascht und orientierungslos durch den Nebel irrten, gibt der Senator Bill Nelson wieder, was ihm die Ermittler des FBI anvertraut hatten. Als klar wurde, dass es sich um eine tödliche Falle handelte, rannten viele zurück in die Unterrichtsräume, wo sie sich zu verstecken versuchten, in Schränken, unter Tischen, einige mit Smartphone in der Hand, um Kontakt zur Außenwelt zu halten. Einige sollen ihren Eltern geschrieben haben: „Was soll ich tun, wo soll ich hin?“
Warnsignale in sozialen Medien
Nachrichtensender zeigten Bilder vom Ort des Geschehens, immer wieder das Gleiche in Endlosschleife. Teenager, die gemeinsam nach draußen laufen, die Hände erhoben oder hinter dem Nacken verschränkt. Für die Spezialeinheiten der Polizei, die die Schule mit ihren 3200 Schülern nach und nach räumten, war zu dem Zeitpunkt im Prinzip jeder verdächtig. Im Pulk der anderen entkam zunächst auch der Schütze, bevor ihn Fahnder in einer Nachbarstadt stellten.
Und allmählich fügten sich die Informationsbruchstücke zu einem Täterprofil, wie es den Amerikanern mittlerweile nur allzu vertraut ist. Ein Einzelgänger, kontaktarm, vernarrt in Waffen. Auf seiner Instagram-Seite präsentierte sich Cruz mit dunklen Stirnbändern, mal mit einer Pistole, mal mit Messern, die optisch wie die Verlängerung seiner Finger wirken sollten, als wären es Klauen. Auch in anderen sozialen Netzwerken gab es den Ermittlungen zufolge einige „sehr, sehr beunruhigende“ Beiträge. Wie schon Adam Lanza, der verstörte Junge, der im Dezember 2012 im idyllischen Neuengland-Städtchen Newtown 20 Erstklässler der Sandy-HookGrundschule erschoss, bediente er sich einer AR-15. Dieses halbautomatische Gewehr benutzte auch Stephen Paddock, als er vergangenes Jahr in Las Vegas 58 Menschen erschoss. Bis vor ein paar Monaten lernte Cruz selber an der High School, die er nun ins Visier nahm. Er wurde der Schule verwiesen, aus Gründen, zu denen die Schulverwaltung zunächst nichts Definitives sagen wollte, womöglich auch, weil sie Warnungen nicht ernst genug genommen hatte. Nikolas Cruz, sagte dessen ehemaliger Mathelehrer Jim Gard dem „Miami Herald“, habe Mitschüler bedroht. Der Junge dürfe das Schulgelände nicht mehr mit einem Rucksack betreten, sei dem Lehrerkollegium voriges Jahr per E-Mail mitgeteilt worden.
Mit Schießkünsten geprahlt
Ein früherer Klassenkamerad namens Joshua Charo beschreibt Cruz als Typen, der mit seinen Schießkünsten prahlte. Die 17-jährige Victoria Olvera wiederum erzählte der Nachrichtenagentur AP, Cruz sei von der Schule geflogen, weil er sich mit dem neuen Freund seiner ExFreundin geprügelt habe. Eifersucht als Tatmotiv? Dazu würde passen, dass der Teenager seinen Mordfeldzug ausgerechnet für den Valentinstag plante. Vorläufig sind es Theorien, nicht mehr. Medienberichten zufolge soll sich Cruz auch in psychiatrischer Behandlung befunden, diese aber abgebrochen haben. Dann wird bekannt, dass Cruz der Rassistenvereinigung und Miliz „Republic of Florida“(ROF) angehört haben soll. Die Menschenrechtsorganisation Anti Defamation League (ADL) erklärte am Donnerstag, der 19-Jährige habe am paramilitärischen Training der ROF teilgenommen. Als Quelle zitierte die ADL den mutmaßlichen Anführer der Rassistengruppe, Jordan Jereb. Mit dem Schulmassaker habe seine Vereinigung aber nichts zu tun, sagte dieser.