Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Städte fürchten Fahrverbote
Bundesverwaltungsgericht entscheidet über Zulässigkeit
RAVENSBURG (sz) - Der Deutsche Städtetag geht davon aus, dass die hohe Belastung durch Stickoxide in Städten zu Dieselfahrverboten führen wird. „Ich würde mich wundern, wenn wir an Fahrverboten vorbeikommen würden“, sagte StädtetagsHauptgeschäftsführer Helmut Dedy. Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet heute über eine Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) zu Fahrverboten. Falls das Gericht zwei Revisionen von Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg zu Entscheidungen für Stuttgart und Düsseldorf zurückweist, könnte es grünes Licht für Fahrverbote geben. In diesem Fall rechnet der Städtetag allerdings nicht mit einer kurzfristigen Umsetzung. Zunächst seien die Länder gefragt, wie sie die Luftreinhaltepläne anpassten, sagte Dedy. Der Richterspruch werde aber in jedem Fall Signalwirkung haben.
RAVENSBURG - Es ist das Horrorszenario für Verbraucher, Pendler, Gewerbetreibende und Logistiker: Sollte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig Fahrverbote für alte Dieselautos für rechtmäßig erklären, könnte dies weitreichende Folgen für die betroffenen Städte haben.
Welche Autos wären von Dieselfahrverboten betroffen?
Da gehen die Meinungen auseinander. Mit relativer Sicherheit würden Dieselautos der Abgasnormen Euro eins bis fünf von Fahrverboten betroffen sein. Zahlen des Kraftfahrtbundesamtes zufolge beträfe das deutschlandweit knapp sechs Millionen Fahrzeuge. Aber auch Dieselautos der Abgasnorm Euro sechs sind nicht ganz aus dem Schneider, denn seit September 2017 gelten sowohl Euro 6c (Abgasmessung auf dem Prüfstand) als auch Euro 6d (Abgasmessung im Straßenbetrieb). Stand heute sind nur Fahrzeuge, die nach der Euro-6d-Norm zugelassen sind, von möglichen Fahrverboten befreit.
Welche Städte sind betroffen?
Deutschlandweit werden die von der EU vorgegebenen Grenzwerte von maximal 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft in rund 70 Städten überschritten – darunter die Großstädte Stuttgart, München, Hamburg, Düsseldorf und Berlin. Im Regierungsbezirk Tübingen betrifft das zurzeit Reutlingen, Tübingen, Balingen, Ulm und Ravensburg. Wenn in betroffenen Kommunen bereits Luftreinhaltepläne existieren, sind dort noch keine Fahrverbote vorgesehen. Reutlingen beispielsweise setzt auf Durchfahrtsverbote für Lkw, Geschwindigkeitsbeschränkungen und ein neues ÖPNV-Konzept. Ähnliche Maßnahmen diskutiert auch Ravensburg. Eine generelle Entwarnung für mögliche Dieselfahrverbote in den betroffenen Städten ist das aber nicht. Wenn die im Luftreinhalteplan vorgesehenen Maßnahmen nicht fruchten, könnte diese Option doch noch kommen.
Worauf gründet sich der Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft?
Rund 6000 Menschen in Deutschland sterben einer Studie des Umweltbundesamts zufolge pro Jahr vorzeitig an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die von Stickstoffdioxid ausgelöst werden. In Städten stammt das NO2 abgekürzte Gas hauptsächlich aus Dieselabgasen. Vor diesem Hintergrund hat sich die EU 1999 entschlossen, den Grenzwert auf dieses Niveau festzuschreiben. Nicht nur Deutschland hat Probleme, den Grenzwert einzuhalten, es laufen Verfahren gegen acht weitere EU-Mitglieder. Am Arbeitsplatz gelten weniger strenge Regeln: Im Büro dürfen es 60 Mikrogramm, an Arbeitsplätzen im Handwerk oder in der Industrieproduktion sogar 950 Mikrogramm sein – dort müssen auch keine Kinder sowie alte und kranke Menschen vor dem Reizgas geschützt werden.
Wie wird ein Verbot umgesetzt?
Das Bundesverwaltungsgericht wird nicht selbst Fahrverbote anordnen können, da sind die Länder gefragt. Fahrverbote wären immer eine Einzelfallentscheidung und könnten von Stadt zu Stadt unterschiedlich ausfallen. Sie könnten zeitlich auf bestimmte Strecken und Stadtzonen begrenzt sein, in denen die Grenzwerte am stärksten überschritten werden. Und sie könnten auch Ausnahmeregelungen beinhalten. München und Stuttgart beispielsweise sprechen sich ausdrücklich für Ausnahmeregeln aus, etwa um die Versorgung der Städte mit Gütern und Dienstleistungen zu gewährleisten.
Wie schnell könnten Fahrverbote umgesetzt werden?
Das ist noch völlig unklar. Das Stuttgarter Gericht hatte Fahrverbote als „effektivste Maßnahme“gewürdigt. In Düsseldorf hieß es, Fahrverbote sollten „ernstlich geprüft“werden. Dies bedeutet, dass die Luftreinhaltepläne schnell überarbeitet werden müssen – vorrangig in Stuttgart und Düsseldorf, aber vermutlich auch in vielen anderen betroffenen Kommunen. Ein Sprecher des Umweltministeriums Baden-Württemberg teilt mit, man werde „das Urteil abwarten und es dann in den Diskussionsprozess mit einbeziehen“.
Kann die Einhaltung der Dieselfahrverbote kontrolliert werden?
Die deutschen Polizeigewerkschaften halten Dieselfahrverbote in Städten nicht für durchsetzbar. „Wir müssen uns angesichts der Personaldecke auf Kernaufgaben beschränken“, sagte der für Verkehrspolitik zuständige Vizechef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Arnold Plickert, der „Welt am Sonntag“. Lediglich zeitlich befristete Aktionen in Form von Stichproben seien denkbar. Auch die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) hält Verbotszonen nicht für durchsetzbar. „Solche Kontrollen stehen ganz am Ende unserer Prioritätenliste“, sagte der Bundesvorsitzende Rainer Wendt. Für den Nürtinger Automobilexperten Willi Diez ist aus diesem Grund die Einführung einer blauen Plakette für Fahrzeuge, die die Abgasgrenzwerte einhalten, die einzig gangbare Alternative.
Verschärft ein Dieselfahrverbot den Wertverlust von Dieselautos?
Im Falle von Fahrverboten stünden Dieselbesitzer vor der Situation, dass sie bestimmte Regionen zu bestimmten Zeiten nicht befahren dürfen, ihre Autos wären zum Teil nutzlos. Viele Fahrer würden ihre Fahrzeuge verkaufen, durch die große Zahl von alten Dieselautos auf dem Markt sänken die Preise. Den Wertverlust müssten die Eigentümer der Fahrzeuge tragen.
Was kann ein Besitzer eines Dieselfahrzeugs machen?
Nicht viel. Sofern die Autohersteller noch Umtauschprogramme anbieten, kann er seinen alten Diesel unter Inanspruchnahme der angebotenen Umtauschprämien gegen einen Diesel mit höherer Abgasnorm eintauschen. Bei vielen Autobauern sind die Programme jedoch zeitlich befristet und laufen mittelfristig aus. Sollten in Dieselfahrzeugen unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut sein, gibt es auch die Möglichkeit einer Klage gegen den Hersteller.
Wie wahrscheinlich ist es, dass die Richter die Verbote als rechtlich zulässig erklären?
Wie das Gericht entscheidet, ist offen. Auch Prozessbeteiligte wollten keine Einschätzung abgeben. Der Deutsche Städtetag geht davon aus, dass die hohe Belastung durch Stickoxide in Städten zu Dieselfahrverboten führen wird. „Ich würde mich wundern, wenn wir an Fahrverboten vorbeikommen würden“, sagte Städtetags-Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy dem „Spiegel“.