Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Hoffmann lässt den HSV erbeben
Der Aufsichtsratschef entlässt Clubchef Bruchhagen und Sportchef Todt
HAMBURG (SID/dpa) - Als der gefeuerte Clubchef Heribert Bruchhagen im ersten Stock des Volksparkstadions gerade begann sein Büro auszuräumen, betrat Bernd Hoffmann die große Bühne beim Hamburger SV. Vor rund einem Dutzend Kamerateams und etwa 30 Reportern verkaufte der neue starke Mann bei den Hanseaten den Rauswurf von Bruchhagen und Sportchef Jens Todt als alternativlosen „Neuanfang“in der wohl schlimmsten Krise der Vereinsgeschichte.
Man sei zu der Auffassung gekommen, einen „Impuls setzen“zu müssen, sagte Hoffmann, der am Mittwochabend „einstimmig“zum neuen Aufsichtsratsboss der HSV Fußball AG bestimmt wurde und danach sofort knallhart durchgriff. Der 55-Jährige setzte Bruchhagen vor die Tür, anschließend informierte der bisherige Finanzvorstand Frank Wettstein Todt über dessen Freistellung. Wettstein übernimmt zunächst die operative Führung des Clubs.
Zwei Tage vor dem schwierigen Auswärtsspiel bei Bayern München am Samstag (15.30 Uhr/Sky) herrscht damit Chaos in der Führung an der Elbe. Die aussichtslose sportliche Lage führt offenbar zu Panikreaktionen – in der Hoffnung, doch noch irgendwie das Wunder Klassenerhalt in der Bundesliga zu schaffen. Bruchhagen reagierte mit Verständnis auf seine Entlassung. Er übernehme „die Verantwortung“für die sportliche Krise und wünsche dem Club alles Gute: „Ich drücke dem HSV weiter die Daumen.“
Todt hat Verständnis
Trotz des Tohuwabohu beim Ligavorletzten sieht Hoffmann, der erst vor 18 Tagen zum Präsidenten des Muttervereins gewählt worden war, den HSV „gut aufgestellt, die Weichen zu stellen. Hier werden nicht die Räder stillstehen.“Allerdings räumte er ein, die Kaderzusammenstellung werde ein „Gesamtkunstwerk“.
Obwohl die Planungen – egal für welche Liga – nun intensiv betrieben werden müssen, will sich Hoffmann bei der Suche nach einem neuen Vorstandschef Zeit lassen. „Wir werden nicht den Fehler der letzten Jahre machen, sofort eine neue Lösung zu präsentieren. Eile ist nicht geboten“, sagte Hoffmann, der selbst von 2003 bis 2011 HSV-Vorstandschef war. In diese Zeit fallen auch die bisher letzten Auftritte des Clubs in der Champions League und in der Europa League.
Eine Rückkehr als Clubchef strebt der machtbewusste Hoffmann laut eigener Aussage aber nicht an. „Ich möchte nicht Vorstandsvorsitzender werden, ich möchte die beste Lösung für den HSV“, sagte er und betonte, dass Investor Klaus-Michael Kühne keinen Einfluss auf die Entscheidung, Bruchhagen – dessen Vertrag erst im Dezember bis 2019 verlängert wurde – zu entlassen, genommen habe. Wettstein sucht parallel nach einem neuen Sportchef, zuletzt wurden für den Posten der zurzeit vereinslose Jörg Schmadtke und Hannovers Manager Horst Heldt gehandelt. Todt war seit Januar 2017 im Amt und wie Bruchhagen nicht überrascht von seinem Aus. „Wenn sich alle einig sind, dass es im Sommer auch nicht mehr weitergegangen wäre, dann ist es folgerichtig, schon jetzt eine Entscheidung zu treffen“, sagte Todt dem „Hamburger Abendblatt.“Er stehe für eine geordnete Übergabe zur Verfügung.
„Wir sind voll handlungsfähig“, beteuerte Wettstein: „Wir laufen keine Gefahr, dass der HSV auseinanderfliegt.“Doch genau dies befürchten die Anhänger der einst so stolzen Hanseaten. Der HSV weist seine schwächste Bilanz der Clubgeschichte auf und ist seit zwölf Bundesligaspielen sieglos – der Liga-Dino ist nach Jahren des Niedergangs diesmal wohl nicht mehr zu retten. Der Rückstand auf den Relegationsrang beträgt sieben Punkte, auch Stürmertalent Jan-Fiete Arp dürfte weg sein, halb Europa buhlt um den 18-Jährigen.
Ob auch der erst vor 45 Tagen engagierte Trainer Bernd Hollerbach im Zuge des Entlassungsbebens seinen Job verliert, ist an diesem denkwürdigen Donnerstag in Hamburg wahrscheinlicher geworden. „Stand heute halte ich einen Trainerwechsel für nicht möglich“, sagte Wettstein nur. Schon nach dem Spiel in München kann dies ganz anders aussehen. HSV-Ex-Trainer und Urgestein Felix Magath nannte die Entlassungen „überfällig“. Dennoch werde er nicht selbst beim HSV einsteigen: „Ich werde dem Club selbstverständlich helfen, wenn ich kann. Aber ich sehe da keine Möglichkeit mit den Personen, die beim HSV sind.“Hollerbachs Rezept für das Bayern-Duell steht übrigens schon: „Ich sage den Spielern, dass sie im Moment nicht so viel lesen sollen.“