Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Das Stehaufmännchen geht in die nächste Runde
Kaum entmachtet, steht der bisherige bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer schon wieder als Gewinner da
MÜNCHEN - Für ein Stehaufmännchen ist Horst Seehofer eigentlich viel zu groß. So merken die meisten Leute gar nicht, wenn er mal hinfällt. Wie jetzt, nach dem bittersten Sturz seiner Karriere. Kaum entmachtet, steht der Bayer schon wieder wie ein Gewinner da: Innenminister in Berlin, graue Eminenz in Angela Merkels Kabinett. Mit der Macht, dass niemand ohne ihn und seine CSU regieren kann.
Vor ein paar Wochen noch war die scheinbar interessanteste Frage, ob der Senior die Kurve kriegt zu einem Abgang in Würde. Markus Söder ließ überall im Bayernland seine Truppen aufmarschieren zur Entscheidungsschlacht um das Amt des Ministerpräsidenten. Es gab bereits erste Mitleidsbekundungen, in der Politik ein tödliches Gift. Seehofer weiß, wie solche Kämpfe in der CSU ablaufen. Sogar ihr Übervater Franz Josef Strauß musste zum Ende seines rastlosen Lebens noch diese Schüsse aus dem Hinterhalt aushalten, kam der Demontage mit seinem Tod zuvor. Sein Nachfolger Max Streibl erlebte schier vom ersten Amtstag an, wie wahr ein Lieblingsspruch seines Vorgängers doch ist: „Feind – Erzfeind – Parteifreund“.
In diesen Jahren muss Seehofer gelernt haben, wie man es nicht machen darf. Beim Sturz des Edmund Stoiber zeigte er sich noch betont loyal, als in den Hinterzimmern schon die Ministerposten verteilt wurden für das Kabinett nach Stoiber. Markus Söder machte es übrigens genauso, gab sich bei jeder Gelegenheit als „Stoiberer“.
Zur Sicherheit enthüllten Helfershelfer seiner Konkurrenten damals Seehofers süßes Geheimnis: Ein Kind der Liebe in der Bundeshauptstadt. Da war der Mann aus Ingolstadt erst mal aus dem Rennen – aber nicht für immer. Seine Stunde kam, als die Interimsregierung des braven Franken Günther Beckstein bei der Landtagswahl die absolute Mehrheit verspielte.
Es war die Stunde des Horst Lorenz Seehofer. Jahrgang 1949, Sohn eines Maurers, der seine Familie auch als Lastwagenfahrer über die Runden brachte. Da hieß es was, die beiden Söhne auf die Realschule zu schicken. Jahre später, bei einer Passauer Aschermittwochspredigt, hat Seehofer seinem Publikum mal offenbart, dass sie daheim am Montag bangten, ob der Vater die Lohntüte heimbringen wird – ohne vorangehende Wirtshausabstecher. Mögen andere mit solcher Herkunft hadern, Seehofer hat das Geschick, sie für sich einzusetzen. Leute mit Abitur und Gel im Haar haben sie ja schon genug in der CSU.
Unvergessen ein Besuch in der alten Hauptstadt Bonn. Kohl war Kanzler, Seehofer noch nicht im Kabinett. In einer Mittagspause lief er uns über den Weg. Nicht zu übersehen. Nicht nur wegen der Körpergröße, sondern wegen der Frisur, die an Körperverletzung grenzte. „Das mach ich selber“, grinste er, nicht ohne Stolz. Und nach einer Plauderviertelstunde wussten die Journalisten aus der Heimat ziemlich alles, was aktuell in Bonn so lief hinter den Kulissen.
Hintersinniger Spott
Ein Meister des hintersinnigen Spotts ist er geblieben, sein Humor gefürchtet. Einer seiner Ziehväter aus frühen Tagen beschreibt das so: „Bevor andere Wurst sagen, hat der Horst sie verdrückt.“Nebenbei hat er sich hochgerackert: erst Aufstieg zum Verwaltungsinspektor, dann zum Verwaltungsbetriebswirt.
Beim Eichstätter Landrat Konrad Regler, der ein halbes Leben lang Vorsitzender der Bayerischen Krankenhausgesellschaft war, hat der Aufstrebende dann noch „Soziales“gelernt. Als der Augsburger Stefan Höpfinger kürzertreten musste, wurde Seehofer der CSU-Mann fürs Soziale, ab 1989 als Höpfingers Nachfolger im Amt des Staatssekretärs beim Bundesarbeitsminister. Viele Jahre pflegte Seehofer dann das Image des – für CSU-Verhältnisse – linken Flügelmanns. Auch noch als Bundesgesundheitsminister, der er im Jahr 1992 wurde: „Ärzteschreck“war da noch ein eher harmloses Schimpfwort. Wohl fühle er sich „nur in dieser Volkspartei CSU,“sagte er damals, „nicht in einer Partei, die nach rechts rückt.“Für die Masse der CSU-Bayern galt er lange Zeit als „zu rot“. Dazu passte der Streit mit der heutigen Bundeskanzlerin um die „Gesundheitsprämie“(„Kopfpauschale“), die auf eine Umverteilung der Krankenkassenbeiträge zum Vorteil der Arbeitgeber hinauslaufen sollte. Seehofer gab – auch mangels Rückendeckung aus der Parteispitze – sein Amt als stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion auf.
Wer glaubte, damit sei das Thema Seehofer erledigt, wurde vom Wähler eines Besseren belehrt: Bei der Bundestagswahl 2005 holte er – ganz ohne Spitzenämter – mit 65,9 Prozent das bundesweit zweitbeste Ergebnis. Er nutzte die Zeit im zweiten Glied für bald gefürchtete Plauderrunden, nicht nur mit Journalisten. Es war die Zeit, in der die CSU mit internen Machtkämpfen beschäftigt war – zumal Edmund Stoiber mit dem staatsmännisch-besonnenen Parteichef Theo Waigel. Der Rest ist Geschichte: Stoiber schaffte Waigel, die CSU dann Stoiber. Und nach der Wahlschlappe 2008 war Seehofer endgültig zurück, wie Phoenix aus der Asche. Die letzten Widerstände erledigten Handlanger wie im Handstreich: Seehofer wollte die ganze Macht, also den Regierungschef und den Parteivorsitz.
Probleme vor sich hergeschoben
Sein Versprechen, die absolute Mehrheit zurückzuholen, hat er 2013 eingelöst. Streitprojekte seiner Vorgänger wie den weiteren Ausbau der Donau und des Münchner Großflughafens hat er mit Geschick vor sich hergeschoben. Dass Rivale Söder so Gelegenheit bekam, Entscheidungsstärke vorzuführen, war eine Folge. Der Spitzname „Wendehorst“hat ihn wohl nicht sehr gestört. So was steckt er mit dem kehligen Lach-Grunzen weg – eines seiner Markenzeichen.
Wer kann nach diesen Koalitionsverhandlungen noch am Stuhl des Parteivorsitzenden sägen? Oder auch nur fragen nach den besonders für die CSU schmerzhaften Stimmenverlusten bei der letzten Bundestagswahl? In den Hintergrund tritt so ein mitunter wenig würdevoller Machtkampf, den Seehofer schon verloren hatte, als sich in Berlin ein Rettungsausgang auftat. Das schafft neue Luft für starke Worte: „Bösartigkeiten“habe er erleben müssen und er sei „ordentlich von Parteifreunden demontiert worden“, klagte er, bevor er heute seinen Posten als Ministerpräsident niederlegt. Er habe „keine Neigung, da zurückzuschlagen“. Wer Seehofer und die CSU kennt, der weiß: Das könnte eine Drohung sein.