Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Räume zum Tanzen und Denken
Kibbutz Contemporary Dance Company beim Bregenzer Frühling
BREGENZ - Mit großer Begeisterung ist der erste Abend des Tanzfestivals „Bregenzer Frühling“angenommen worden. Im Festspielhaus gastierte die dynamische Kibbutz Contemporary Dance Company (kurz KCDC) unter der Leitung von Rami Be’er mit dem Programm „Horses in the Sky“. Dies ist ein Gesamtkunstwerk von Bewegung, Sprache, Musik, Licht und Kostümen.
18 Tänzerinnen und Tänzer, bekleidet mit sandfarbenen, zerrissenen oder geschnürten Oberteilen und weißen Höschen, vereinigen sich immer wieder zu Gruppen und Paaren und behalten doch ihre Individualität. In ihrer Körpersprache erzählen sie von Angst und Bedrohung, sie kriechen, schleichen, krümmen und schütteln sich, verharren in Positionen, bilden Menschenknäuel, aus denen einer oder eine ausbricht. Eine große Gruppenenergie wird hier aufgebaut, die Kraft, Widerstand und Dynamik hat.
Gruppendynamik und Symbiose
Mit Licht – bald grell, bald diffus – und den musikalischen Wechselbädern baut Remi Be’er unterschiedliche Räume, die vom Tanz belebt werden. Die schnelle Bewegung mit Sprüngen, raumgreifenden, eckigen oder aus dem klassischmodernen Stil gespeisten Repertoire kontrastiert mit langsamen, erschöpften, symbiotischen Windungen am Boden oder fröhlicher Leichtigkeit. Getragen von einer teils heftig hämmernden Musik, elektronischen Beats und Scratching-Geräuschen, dann wieder von lyrischen Balladen oder witzigen Dixie-Banjo-Einwürfen, ist die energiegeladene Bewegung auch ein Spiegel für die unterschiedlichste Musik. Der titelgebende Song von Silver Mt. Zion bildet ein Zentrum, ebenso wie das darin enthaltene Statement „Gewalt bringt mehr Gewalt und Lügen bringen noch mehr Lügen“.
Doch Rami Be’er, der im Kibbutz Ga’aton geboren und von Yehudit Arnon, der Gründerin der KCDC, ausgebildet wurde, leitet die Compagnie seit 21 Jahren. Yehudit Arnon hatte als junge Tänzerin das Konzentrationslager Auschwitz überlebt und sich geschworen, ihr Leben dem Tanz und der Tanzausbildung zu widmen. Auch Be’er entstammt einer Familie von Holocaust-Überlebenden. Doch er will nicht dozieren oder eine Geschichte vom Weiterleben erzählen. Seine Choreografie – die Bewegung, die Verschmelzung und Vereinzelung der Körper, die Gruppendynamik einerseits und die Isolation andererseits, die Energie im Wechsel von Spannung und Ruhe – öffnet Räume für eigene Deutungen und Assoziationen. Ob politische Aussage oder Stimmungsbild, ob Schwarmintelligenz, Herdentrieb oder einfach Tanzfreude, jeder und jede im Publikum wird eigene Gedanken gehabt haben. Das macht dieses außergewöhnliche Tanzfestival aus und spiegelt sich immer wieder in den lebhaften Diskussionen im Foyer.
Die knapp einstündige kräftezehrende Performance von KCDC bewegt, verstört, begeistert, bietet sicherlich keine leichte Kost und hat in Zeiten politscher Umwälzungen und Gedenktage ihren besonderen Platz. Die nächste Aufführung des Bregenzer Frühlings mit „Hamlet“von der Imperfect Dancers Company aus Italien ist bereits am kommenden Samstag im Festspielhaus.